Flugverkehr (147): Flügel, ein Film

Larissa Schepitko? Das junge Paar aus Weißrussland, wie ich im Pflegeheim tätig, winkte ab: nie gehört, den Namen. Kein Wunder. Die ukrainische Filmemacherin starb schon 1979 bei einem Autounfall und wurde nur 41 Jahre alt. Ihren Film Der Aufstieg habe ich behandelt, vier weitere beachtliche hat sie vollendet, und in Flügel (Кгылъя) von 1966 (am 10. November erstmals gezeigt) geht es ums Fliegen, klar. 

OIPlarissaIn dem Beitrag über den Aufstieg (oder die Erhöhung) steht auch alles über die Schepitko. Ein »Flugverkehr« musste wieder her, und da ließ ich Flügel auf mich wirken und verstand kein Wort, da Untertitel nicht vorlagen. Doch bei einem guten Film braucht man keine Worte. (Links im Bild: die Regisseurin)

Nadeschda (das Wort heißt Hoffnung) war im Weltkrieg eine bekannte Kampffliegerin, und nun ist sie über 40 OIPmaya1und leitet eine Schule. Wir sehen sie, gespielt von der wunderbaren Maya Bulgakowa (1932-1994) bei ihrem täglichen Handwerk: Sie inspiziert die Räume, leitet eine Theatergruppe, vergibt Zensuren und hört sich an, wie Lehrerinnen so unterrichten. Doch kaum ist sie alleine, gleitet sie in Träume ab. Nadeschda sieht den Horizont und Wolkentürme und die Welt unter sich, und dazu hören wir immer dieselbe Musik, die ihre erträumte Freiheit begleitet.

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Sie sehnt sich nicht nach den Luftkämpfen, sondern nach der Ferne von aller Erdenschwere — und wieder dachte ich an Saint-Exupéry, dem es auch schwerfiel, nach den Stunden in der Luft wieder auf dem Erdboden zu stehen; und wie viele Zeugen von Nahtod-Erfahrungen weigerten sich, der Geistigen Welt den Rücken zu kehren … und mussten doch zurück.

OIPmaya2In ihrer Schule stößt sie auf ein Porträt des Kriegspiloten Mitya, ihres Partners, der einst vor ihr flog, Treffer abbekam und auch durch riskante Manöver Nadeschdas — um ihn sozusagen aufzuwecken, anzuspornen — nicht gerettet werden konnte: Seine Maschine stürzte ab, und sie flog dicht über die vielen Brände mit den Trümmern des zerstörten Jagdbombers.

Jak-18_Góraszka_2008_2Daran fühlt sie sich erinnert, als sie bei einem Flugtag wieder in einer Yakowlew-Maschine sitzt und die Instrumente betrachtet. Ein Dutzend Flugschüler sehen die Verehrte und schieben ausgelassen die Maschine zum Hangar zurück, und auf Nadeschdas Gesicht spiegeln und mischen sich Rührung, Erinnerung, Selbstmitleid und Auflehnung. Kurz vor dem Hangar schaltet sie den Propeller ein, die Schüler stieben beiseite, und sie jagt die Rollbahn entlang, startet und ist bald weit weit weg.

∑ ∇ ∃

In einem Interview 1978 (mehr daraus morgen) wurde Larissa von der Journalistin (Felicitas von Nostitz, eine Freundin von ihr) gefragt, ob sie auch nach zehn Jahren das Ende beibehalten würde? Die Schepitko bejahte das. Wichtig sei die Persönlichkeit der Figur. Dann meinte die Journalistin, es sei wohl ein symbolischer Selbstmord (obwohl nichts darauf hindeutet, sie fliegt weg und koniez, Ende), denn Nadeschda kehre ja nicht zurück. Die Offenheit des Endes wollte die junge Journalistin nicht wahrhaben. (Journalisten sind so bürgerlich. Schwarz oder weiß, bloß nicht beides.) Schepitko darauf:

Sie kehrt ja zurück: in den Himmel, zu ihrer Begabung, zu der Aufgabe, die sie zu erfüllen hatte! … Millionen Menschen erkennen zu spät, was ihre Aufgabe war und sterben in dem Gefühl, nicht ihr eigenes Leben gelebt zu haben — und Nadeschda sieht es ein, in einem kritischen Moment, und steht zu ihrer Berufung. Vielleicht kann sie auch zurückkehren, möglich ist es. 

 

 

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