Kabale und Liebe
Das Theaterstück Minna von Barnhelm hatte ich kürzlich gelesen, das von Lessing ist, und jetzt war Kabale und Liebe dran, die Schiller-Tragödie. Ich will daraus einen Auszug bringen, der mich zum Lachen reizte, so abgedreht und überspannt und hitzig war das. Sturm und Drang war Leidenschaft! Der deutsche Mensch (Mann), unsterblich verliebt, schmachtete da wie ein Italiener oder Spanier!
Eine kleine Vorrede muss aber sein. Das deutsche Theater fing mit Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) an, sagt man. Vorher gab es nichts Nennenswertes. In Spanien gehörte das 17. Jahrhundert Lope de Vega und Calderon de la Barca, in Frankreich gab es Racine, Corneille und Molière, und in Deutschland — eben nichts. 1764 kam Minna von Barnhelm heraus, ein Lustspiel, und darin tritt zwar ein Graf auf, und Minna sowie ihr Auserwählter, der pensionierte Major von Tellheim, sind beide »von«, aber es geht irgendwie bürgerlich und bodenständig zu, und das Geld spielt eine große Rolle.
Bei Schillers Kabale und Liebe, 20 Jahre später (1784) aufgeführt, spürt man die Standesschranken: Luise Millerin ist die Tochter des Musikanten am Hof eines Fürsten, und ihr Geliebter ist der Sohn des Präsidenten; der ist zwar nicht adelig, aber halt »was Besseres«. Oft ging es um »unmögliche« geschlechtliche Verbindungen, die auf der Bühne gegen die Macht der Väter durchgekämpft werden mussten.
Molière schrieb so etwas schon 100 Jahre vor Lessing, und er schrieb auch über Bürgerliche, die gerne Adelige wären und sich mit Geld einen sozialen Status erkaufen. Der König musste das Stück jeweils billigen. Selten musste Molière etwas umschreiben. Doch man lachte ja über Bürger; hätte sich der Autor über Adelige oder Kirchenmänner lustig gemacht, er wäre nicht so billig davongekommen.
Im autoritätsgläubigen Deutschland ging das im 17. Jahrhundert nicht, außerdem gab es viele kleine, eitle Fürsten. Deutschland war ein Teppich von Kleinstaaten. Nun aber hinein in die Leidenschaft! Zweiter Akt, fünfter Aufzug:
Ferdinand von Walter stürzt erschrocken und außer Atem ins Zimmer.
Die Vorigen.
FERDINAND. War mein Vater da?
LUISE fährt mit Schrecken auf. Sein Vater! Allmächtiger Gott!
Zugleich.
FRAU schlägt die Hände zusammen. Der Präsident! Es ist aus mit uns!
MILLER lacht voll Bosheit. Gottlob! Gottlob! Da haben wir ja die Bescherung!
FERDINAND eilt auf Luisen zu und drückt sie stark in die Arme. Mein bist du, und wärfen Höll und Himmel sich zwischen uns.
LUISE. Mein Tod ist gewiß – Rede weiter – Du sprachst einen schrecklichen Namen aus – dein Vater?
FERDINAND. Nichts. Nichts. Es ist überstanden. Ich hab dich ja wieder. Du hast mich ja wieder. O laß mich Atem schöpfen an dieser Brust. Es war eine schreckliche Stunde.
LUISE. Welche? Du tötest mich!
FERDINAND tritt zurück und schaut sie bedeutend an. Eine Stunde, Luise, wo zwischen mein Herz und dich eine fremde Gestalt sich warf – wo meine Liebe vor meinem Gewissen erblaßte – wo meine Luise aufhörte, ihrem Ferdinand alles zu sein – –
Luise sinkt mit verhülltem Gesicht auf den Sessel nieder.
FERDINAND geht schnell auf sie zu, bleibt sprachlos mit starrem Blick vor ihr stehen, dann verläßt er sie plötzlich, in großer Bewegung. Nein! Nimmermehr! Unmöglich, Lady! Zuviel verlangt! Ich kann dir diese Unschuld nicht opfern – Nein, beim unendlichen Gott! ich kann meinen Eid nicht verletzen, der mich laut wie des Himmels Donner aus diesem brechenden Auge mahnt – Lady, blick hieher – hieher, du Rabenvater – Ich soll diesen Engel würgen? Die Hölle soll ich in diesen himmlischen Busen schütten? Mit Entschluß auf sie zueilend. Ich will sie führen vor des Weltrichters Thron, und ob meine Liebe Verbrechen ist, soll der Ewige sagen. Er faßt sie bei der Hand und hebt sie vom Sessel. Fasse Mut, meine Teuerste! – Du hast gewonnen. Als Sieger komm ich aus dem gefährlichsten Kampf zurück.
LUISE. Nein! Nein! Verhehle mir nichts! Sprich es aus, das entsetzliche Urteil. Deinen Vater nanntest du? Du nanntest die Lady? – Schauer des Todes ergreifen mich – Man sagt, sie wird heiraten.
FERDINAND stürzt betäubt zu Luisens Füßen nieder. Mich, Unglückselige!
LUISE nach einer Pause, mit stillem, bebendem Ton und schrecklicher Ruhe. Nun – was erschreck ich denn? – Der alte Mann dort hat mirs ja oft gesagt – ich hab es ihm nie glauben wollen. Pause. Dann wirft sie sich Millern laut weinend in den Arm. Vater, hier ist deine Tochter wieder – Verzeihung, Vater – Dein Kind kann ja nicht dafür, daß dieser Traum so schön war, und – – so fürchterlich jetzt das Erwachen –
MILLER. Luise! Luise! – O Gott, sie ist von sich – Meine Tochter, mein armes Kind – Fluch über den Verführer! – Fluch über das Weib, das ihm kuppelte!
FRAU wirft sich jammernd auf Luisen. Verdien ich diesen Fluch, meine Tochter? Vergebs Ihnen Gott, Baron – Was hat dieses Lamm getan, daß Sie es würgen?
FERDINAND springt an ihr auf, voll Entschlossenheit. Aber ich will seine Kabalen durchbohren – durchreißen will ich alle diese eiserne Ketten des Vorurteils – Frei wie ein Mann will ich wählen, daß diese Insektenseelen am Riesenwerk meiner Liebe hinaufschwindeln. Er will fort.
LUISE zittert vom Sessel auf, folgt ihm. Bleib! Bleib! Wohin willst du? – Vater – Mutter – in dieser bangen Stunde verläßt er uns?
FRAU eilt ihm nach, hängt sich an ihn. Der Präsident wird hieherkommen – Er wird unser Kind mißhandeln – Er wird uns mißhandeln – Herr von Walter, und Sie verlassen uns?
MILLER lacht wütend. Verläßt uns! Freilich! Warum nicht? – Sie gab ihm ja alles hin! Mit der einen Hand den Major, mit der andern Luisen fassend. Geduld, Herr! der Weg aus meinem Hause geht nur über diese da – Erwarte erst deinen Vater, wenn du kein Bube bist – Erzähl es ihm, wie du dich in ihr Herz stahlst, Betrüger, oder bei Gott, Ihm seine Tochter zuschleudernd, wild und heftig. du sollst mir zuvor diesen wimmernden Wurm zertreten, den Liebe zu dir so zuschanden richtete.
Der Text stammt aus der Volltextsammlung des Friedrich-Schiller-Archivs. Sonst hätte ich das alles abtippen müssen. Weitere Beiträge über Lessing und Schiller:
So litten die Menschen — Wilhelm Tell — Lessings Gespenster — Lessing