The Dead

Die Toten heißt eine Kurzgeschichte des Iren James Joyce, der dieselben Lebensdaten hat wie Virginia Woolf. Er wurde eine Woche nach ihr geboren (am 2. Februar 1882) und starb 10 Wochen vor ihr, allerdings in Zürich, nicht auf den britischen Inseln. Die Geschichte schließt Joyces Erzählband Dubliners ab, der schon 1914 herauskam. Sie wurde auch verfilmt. 

000000940883Und verfilmt hat die Erzählung 1987 der große John Huston, der African Queen, Misfits und Unter dem Vulkan gedreht hatte. Als er sich an die Verfilmung der Joyce-Kurzgeschichte machte, war Huston schon schwer krank. Die Uraufführung erlebte er nicht mehr; mit 83 Jahren starb er kurz zuvor. — In meinem Beitrag Unter dem Volkan schrieb ich vor elf Jahren bereits einiges über The Dead.

Gabriel und seine Frau Gretta besuchen den legendären Weihnachtsabend bei den Morkans in Dublin, die aus drei Tanten Gabriels bestehen. Man isst und trinkt gut, spricht viel, und Gabriel, der Poesie-Kenner, hält sogar eine kleine Rede, in der er an »abwesende Gesichter« erinnert, »die wir heute Abend vermissen«. Er fährt fort:

1244-01_002Unser Pfad durch das Leben ist gesäumt mit vielen solchen traurigen Erinnerungen; und würden wir ihnen immer nachgrübeln, wir würden nicht die Kraft und das Herz haben, tapfer unsere Arbeit unter den Lebenden fortzuführen. Alle von uns haben gegenwärtig Pflichten und liebende, lebende Beziehungen, die unseren vollen Einsatz erfordern.

Es wird gesungen zur Ermunterung und zum Abschied, dann gehen die Gäste auseinander. Gabriel sieht:

Eine Frau stand oben am ersten Treppenabsatz, im Schatten wie er selbst. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, aber er sah den dunkelbrauenen und lachsfarbenen Besatz ihres Rocks, den der Schatten schwarz und weiß erscheinen ließ. Es war seine Frau. Sie lehnte am Geländer und lauschte.

irlandGabriel fährt mit Gretta ins Hotel und fühlt Liebe für seine Frau und auch Lust, doch sie wirkt abwesend und abweisend zugleich. Er fragt sie, was sie habe. Allmählich und stockend rückt Gretta mit der Sprache heraus: Sie habe das Lied The Lass of Aughrim gehört, gesungen vom Tenor, und das habe sie an etwas erinnert: an einen jungen Burschen in Galway, der es immer für sie gesungen habe. Sie sei oft mit ihm spazierengegangen. Er sei aber gestorben; für sie sei er gestorben … Gretta beginnt zu weinen.

Michael Furey war immer kränklich und liebte Gretta, die jedoch fortgehen wollte, was ihm anscheinend das Herz brach. In der Kälte suchte er sie nochmals auf, wurde krank und starb eine Woche später, 17 Jahre alt. (Mein Bild zeigt einen Friedhof in Irland, 1975 auf einer Reiose aufgenommen.)

Gabriel tröstet Gretta. Angesichts dieser Tragik kommen ihm die Weihnachtfeier und seine Rede läppisch vor, und er fragt sich, was er Gretta geben habe können. Da ist etwas Vergangenes, das ins Leben hineinwirkt und immer dasein wird. Gabriel fühlt sich wie der amerikanische Ehemann von Nora Moon in Past Lives, der dabeisitzt, wenn sich seine Frau mit dem Jugendfreund unterhält und weiß, dass er an jener Geschichte keinen Anteil hat, davon ausgeschlossen ist. Ja, sie gehört ihm nicht ganz.

Der Tragödien und Trennungen gehören zum Leben. Der Gedanke an Reinkarnation und das Weiterleben der Seelen tröstet ein wenig; nichts ist je abgeschlossen, keine Tragödie ohne glücklichen Ausgang. Jedoch hilft das im Augenblick nicht weiter. Gretta denkt an Michael, der in der anderen Welt sein neues Leben führt, und der Jugendfreund von Nora Moon lebt in Seoul; sie sind zwar ideell vereint, müssen die räumliche Trennung aber verarbeiten. Das ist unsere Aufgabe hier.

DSCN3284Michael Fureys Grab liegt auf einem Friedhof von Galway, und in Irland sollte es, so hört Gabriel, in dieser Nacht zu schneien beginnen, und der Schnee wird den ganzen Tag über fallen, unaufhörlich, auf ganz Irland und »auf die Lebenden und die Toten«, schreibt Joyce. .

 

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