Der Schlüssel

Das elfte Kapitel des Codex Hermeticum, Der Schlüssel, ist auch eine Schlüsselstelle des Werks, das uns verrät, was die Gnostiker von Leib, Geist und Seele wussten. Das war bedeutend und ist auch heute noch erhellend. Wir müssen das behandeln, um wieder einmal Begriffe zu klären und die Gnosis ins Spiel zu bringen, die ich sehr schätze — auch wenn das außer mir, fürchte ich, kaum jemanden interessiert.

Indien 129Gnosis heißt Erkenntnis. Die Gnostiker, entstanden vermutlich in Persien, waren Konkurrenten der Christen und dachten anders. Der Heilige Geist war bei ihnen weiblich, »er« war Sophia. Gott war unergründlich und die All-Seele, die in uns alle eine kleine Seele einbaute. Das erinnert an den Atman in uns, den Brahman uns einpflanzte. Nicht nur indische, auch ägyptische Gedanken sind in die Lehre eingeflossen. Der Codex Hermeticum ist zu Anfang unserer Zeitrechnung entstanden. Hermes ist der Weise, der auch den ägyütischen Gott Toth verkörpert und in Dialogen seine Gesprächspartner unterweist. Der Originaltext ist griechisch.

20231223_143217Das Laster der Seele sei die Ignoranz, erklärt Hermes. Ihre Tugend sei die Gnosis. Wer alles weiß und wer gut und fromm ist, kann auf Erden göttlich werden, seine Seele wird gottähnlich. (Links der Schlüssel, fotografiert bei Wind in Wallisellen bei Zürich.)  — Hier werden dann fünf Grundbegriffe eingeführt (statt der drei Körper, Geist und Seele): Es sind Bewusstsein oder Selbst (nous auf Griechisch), Intellekt (logos), Seele (psyche), Geist (pneuma) und Körper (soma). So lesen wir das wörtlich:

Nun sind die Grundprinzipien des Menschen in diesem Kreislauf angeordnet: Bewusstsein oder Selbst (mind) im Intellekt (logos), der Intellekt in der Seele, die Seele im Geist, der Geist im Körper. 

Und:

Das Bewusstsein/Selbst nimmt sich die Seele als Behältnis. Und die Seele, die auch ein göttlich Ding ist, benutzt den Geist als Behältnis, und der Geist durchwebt die lebende Kreatur.

DSCN4764Der Geist durchwebt den Körper und verleiht ihm Bewegung. Er ist mit der Lebenskraft (prana) der Inder vergleichbar. Im Tod zieht sich der Geist in die Seele zurück, und das Leben entweicht. Das Bewusstsein bekleidet sich mit einem Feuergewand und verlässt den irdischen Körper, wobei es die Seele ihrem Urteil oder ihrer Peinigung überlässt. (Hier erkennen wir unschwer den Astralkörper, der als Rakete das Selbst hinausträgt.)

Die Seele, wird uns gesagt, ist etwas Dämonisches, dabei auch göttlich. (Der Dämon steht zwischen Mensch und den Göttern.) Viele Kulturen kannten eine zweigestaltige Seele: eine dunkel und als Schatten; die andere als Wind oder Atem (also pneuma, der Geist). Bei Peter Novak hatten wir den Gedanken gefunden, dass Seele und Geist (oder die beiden genannten Seelen) sich voneinander trennen könnten, was gefährlich sei. Er schrieb auch, Geist und Seele sollen einmal eins werden. Exakt das sagt uns auch Hermes.

Eine fromme Seele wird bei ihm zu Bewusstsein oder Selbst. Das wäre die Heilung: Alle sich widerstrebenden Impulse vereinigen sich, die Seele wird aufgelöst und geistig. Das wäre auch der Ausstieg aus dem Rad der Wiedergeburt: die Erlösung. Der göttliche Geist, der Atman, lebt im Selbst weiter. Der Geist als Lebensfunke oder Lebenskraft ist erloschen.

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Doch die unreine Seele wird unglücklich. Wenn sie kein Mitgefühl kannte, wird sie »von sich selbst gequält«. Das Höllenfeuer ist der Widerschein des Lichts des Verstandes. Da denken wir an das Tibetische Totenbuch, das erläutert, wir träfen nach dem Leben auf unsere eigenen Projektionen; wir bestraften uns selbst. Das ist eigentlich sehr modern, das ist Tiefenpsycholgie, und bei den Nahtod-Erfahrungen heißt es immer wieder, wir verurteilten uns selbst, nicht tue das eine göttliche Instanz.

177Die Gnosis ist bei Hermes der einzige Weg der Rettung, der Weg den Berg hinauf, der olympische Pfad. Gesegnet ist, wer mit Gott gefüllt ist; ihn könnte man Christ nennen, denn er ist völlig von Gottes Geist geprägt.

Bei Hermes ist der Geist der göttlichen Quelle in uns und verlässt mit dem Bewusstsein den Körper. Der andere, mindere Geist ist die Lebenskraft, die im Tod aufhört. Das merken wir uns.

 

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