Rückkehr ins Leben (14): Oberst Chabert
Das Buch Colonel Chabert von Honoré de Balzac wurde mir im Supermarkt Super U in Fessenheim in die Hände gespielt. Da gibt’s ein Regal mit gebrauchten Büchern, ich suchte herum, war unzufrieden, und irgendein Impuls ließ mich weiter suchen: Und da war das Buch, das nur 90 Seiten hat. Erst später begriff ich, wie wichtig es für mich war.
Das hat mit einer literarischen Arbeit zu tun, an der ich seit Wochen sitze. Aber davon abgesehen, der Colonel Chabert passt natürlich zu manipogo und den Motiven Rückkehr vom Tod — ein neues Leben. Chabert tritt in einer Anwaltskanzlei in Paris auf und will beweisen, dass er noch lebt. Denn er wurde für tot erklärt! In der Schlacht von Eylau, deren Erfolg nicht zum Geringsten ihm zuzuschreiben war, erhielt er eine schreckliche Säbelwunde und wurde mit vielen Toten in eine Grube geworfen. Er konnte sich befreien und schwebte danach sechs Monate lang zwischen Leben und Tod. Wieder danach zog er ziellos durch die Gegend und lebte zehn Jahre als Obdachloser. (In einer Verfilmung 1994 hat ihn Gérard Dépardieu gespielt. Oben rechts das italienische Filmplakat.)
Chabert wurde für tot erklärt. Seine Frau verehelichte sich wieder und schenkte dem neuen Gatten zwei Söhne. Sie lebt komfortabel in Paris und will nichts von dem »Auferstandenen« wissen. Advokat Derville aber (in Balzacs Comédie humaine, dieser Serie von Romanen über das Leben in der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts in Paris, ein häufiger Gast) setzt sich für Chabert ein und unternimmt die Schritte, um ihn zu rehabilitieren. Derville setzt Chaberts »Witwe« unter Druck, um dem verarmten Soldaten wenigstens seine Leibrente zu sichern.
Die Madame tut nett und trifft sich mit Chabert, der seine Uniform wieder angelegt hat und wie der alte Kämpfer wirkt. Sollen wir das Ende verraten? Wer das kleine Buch lesen will, sollte nun seine manipogo-Lektüre einstellen. Spoiler Alert!
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Wer nicht den Colonel Chabert lesen möchte, dem sei gesagt: Der Oberst hört zufällig mit an, dass seine frühere Frau ihn am liebsten ins Irrenhaus Charenton abschieben möchte. Er hatte ihren Freundlichkeiten geglaubt und ist nun einfach platt. Er fühlte sich ja die ganze Zeit über »begraben unter den Lebenden« und fragte: »Ist es unrecht, wenn jemand aus dem Totenreich zurückkehren möchte?« Ja, er ist für tot erklärt worden, das Leben ging seinen Gang weiter, man will ihn nicht mehr haben. Also gibt er auf und zieht sich in eine Altersresidenz zurück.
So etwas hatte manipogo schon: im Artikel Zurück ins Leben, in dem es für tot Erklärten schwer fällt, zu beweisen, dass sie noch leben. Fast unmöglich, nach diesem Einschnitt wieder da anzuknüpfen, wo man einmal war. Beck Weathers, der Auferstandene, hat es geschafft. Doch nicht alle schaffen es. Am besten fängt man woanders ein neues Leben an unter neuer Identität — wenn die Kraft dazu ausreicht.