Rückkehr ins Leben (13): Beck Weathers

In zwei Beiträgen hatte ich über das Unglück am Mount Everest vom 10. Mai 1996 geschrieben (die Links unten), und nun fiel mir das Buch Für tot erklärt von Beck Weathers in die Hände, das er 2015 neu überarbeitete. Beck, der Pathologe aus Texas, war fast schon erfroren; dann raffte er sich auf und machte sich an den Abstieg, und ein tollkühner Helikopterpilot holte ihn ab, ihn, den die Kälte übel zugerichtet hatte.

Er überlebte, verlor zwar seine Hände und seine Nase, doch später sagte er:

Selbst wenn ich genau wüsste, was mir auf dem Mount Everest zustoßen würde — ja, ich würde es wieder tun. An jenem Tag auf dem Berg gab ich meine Hände für meine Familie und meine Zukunft hin. Das ist ein Preis, den ich jederzeit zu zahlen bereit bin. Zum ersten Mal in meinem Leben genieße ich inneren Frieden. Ich suche nicht länger nach Möglichkeiten, mich extern, durch Ziele oder Leistungen und materielle Besitztümer zu definieren. Zum ersten Mal im Leben fühle ich mich in meiner Haut wohl. Die ganze Welt habe ich nach dem abgesucht, was mich erfüllen könnte, und die ganze Zeit besaß ich es schon. Alles in allem bin ich ein gesegneter Mensch. Und was noch besser ist: Ich weiß es.

IMG_4691

Der Everest, rechts. Giovannas großartiges Bild verwende ich immer

 

Beck Weathers, 1946 geboren, ist auch ein praktischer Mensch, der schonungslos über sein Leben berichtet — und über das Leben vor dem Mai 1996. Darüber schreibt er wie über etwas ihm Fremdes. Er heiratete Peach, bekam eine gute Stelle als Pathologe in Dallas (er muste nur Gewebeschnitte begutachten), und geboren wurde die Tochter Meg und der Sohn Bub. Alle drei kommen zu Wort, und oft dürfen sie direkt auf das reagieren, was Papa von sich gibt.

Beck schildert, er habe unter geringer Selbstachtung gelitten und sei in Depressionen verfallen. Bis er das Bergsteigen entdeckte. Es wurde für ihn zu einer Besessenheit. Er bestieg den Aconcagua, den Denali (Mount McKinley) und andere Berge auf anderen Kontinenten. Die Kinder hatten einen abwesenden Vater. Und dann sollte es der Himalaya sein. Die 65.000 Dollar für die Expedition auf den Everest hatte er. Und im Mai 1996 ging es los.

Am 9. Mai erreichten sie das Hochlager auf dem Südsattel. Es war eisig, und er fühlte sich wie erschlagen. Beck:

barg2Es geht darum, im Lager IV mit gerade noch genügend Energie anzukommen, um den Gipfel zu erreichen und dann in einem Stück zurückzukehren. Ich würde da oben nicht wieder zu Kräften kommen. Ganz im Gegenteil. Man nennt es die Todeszone, weil einen oberhalb von 7500 Meter der Berg langsam umbringt, egal ob man das Zelt verlässt oder nicht.

Beim Aufstieg sah Beck Weathers, der immer Probleme mit den Augen gehabt hatte, plötzlich nichts mehr. Es besserte sich nicht. Auf 8400 Metern Höhe sagte ihm Rob Hall, er solle hier bleiben, bis er zurückkäme, etwa um 15 Uhr. Beck schwor es, bei seinem Leben. Er stand also da und wartete den ganzen Tag. Drei Kletterer kamen von oben, doch Beck ließ sie vorbei. Er hatte sich verpflichtet. Doch Rob Hall kam nicht. Er versuchte gerade, oben am Südgipfel den völlig erschöpften Doug Hansen zu retten und wusste bald, dass es keine Hoffnung mehr gab. Er konnnte sogar noch mit seiner Frau in Neuseeland sprechen. Dann starb er.

CIMG0672Es wurde 18 Uhr. Sieben Bergsteigerinnen und Bergsteiger kamen von oben, und sie lotsten Beck weiter. Dann aber grollte der Berg, und ein fürchterlicher Schneesturm begann zu toben. Es wurde schrecklich kalt. Wie eine Hundemeute kauerten sich die Kletterer aneinander. Drei der acht schafften es ins Hochlager; Anatoli Bukrejew rettete drei weitere, doch für Yasuko und Beck schien es keine Hoffnung mehr zu geben. Auch ein weiterer Bergsteiger sah die zwei und ließ sie liegen. Man rief Peach in Dallas an und sagte, ihr Mann sei tot. Deshalb heißt sein Buch Für tot erklärt.

Beck Weathers erzählte:

Gegen vier Uhr nachmittags am Everest, nach 22 Stunden im Sturm, geschah das Wunder: Ich öffnete die Augen … und bekam eine zweite Chance.

Er hatte geträumt, in seinem Bett in Texas zu liegen. Dann wurde ihm alles klar. Er lag ein Stück neben der toten Yasuko.

Irgendwann während all dem traf mich ein weiterer Schock — eine Erscheinung. Plötzlich erschien meine Familie vor meinem geistigen Auge: Peach, Bub und Meg. … Mein Unterbewusstsein zitierte sie in lebhaften, leibhaftigen Bildern herbei, als könnten sie im nächsten Augenblick zu mir sprechen. In dieser Sekunde wusste ich mit absoluter Klarheit, dass ich die Ewigkeit an diesem Ort verbringen würde, wenn ich nicht sofort aufstand. 

Er war zum Sterben noch nicht bereit. Er quälte sich hoch, warf seine Ausrüstung weg und wankte los: dorthin, wo er das Lager vermutete. Die Sonne sank tiefer, bald würde es wieder kalt werden. Er könnte stürzen, und dann wäre es vorbei.

CIMG0602

Das Überraschende an dieser Vorstellung war, dass sie mich überhaupt nicht erschreckte. … Nein, ich war von einer riesigen, alles überwältigenden Melancholie überwältigt.

Beck erreichte die Zelte, zur Verblüffung der anderen, die ihn in ein Zelt geleiteten und dort alleine ließen. Vermutlich dachten sie, er würde da ohnehin sterben. (Wäre dennoch schön, wenn man dann nicht alleine wäre …) Doch der Texaner überlebte die Nacht und hatte dann das Glück, dass ein tollkühner nepalesische Pilot, Madan K. C., seinen Squirrel-Helikopter auf 6000 Meter Höhe brachte und ihn abholte. Nie war ein Hubschrauber für eine Bergrettung weiter oben gelandet.

Später musste der gezeichnete Ex-Bergsteiger viele Operationen über sich ergehen lassen. Seine Nase wurde rekonstruiert, und eine Hand kann er ein wenig gebrauchen. Beck Weathers arbeitete weiter als Pathologe und als Motivationspsychologe. Nach dem Bergsteigen verlegte er sich aufs Fliegen mit kleinen Maschinen. Ganz kommt man vom Abenteuer anscheinend nicht weg.

 

Verwandte Artikel:

Anatoli Nikolajewitsch BukrejewWanda RutkiewiczTod am Chomolungma

 

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.