Tadeusz Kantor

Andrzej Wajda sagt in einem Clip, er habe in seinem Leben zwei Genies kennegelernt. Wer das war, das wollte ich nun wissen. Tadeusz Kantor, sagte er, und Stanislaw Lem. Es waren also zwei polnische Genies. Über Kantor habe ich mich gleich informiert, da ich ihn nicht kannte, und das gebe ich gern weiter. Absurdes Theater, närrisches Theater, aber das macht Spaß und verwirrt.

Ein etwas sarkastischer Freund hat immer den Spruch drauf »Jeder Tod hat sein Gelächter«. Will sagen, manchmal stecke in der Art eines Abtretens von der Bühne eine gewisse Ironie, es ist manchmal ein unfreiwillig (?) genialer Schlusseffekt wie im manipogo-Beitrag Tod eines Schauspielers: Tadeusz Łomnicki verließ im Februar 1992 Bühne und Leben mit einem Monolog von König Lear.

Tadeusz_kantor_17-300x197Etwas mehr als ein Jahr zuvor, am 8. Dezember 1990, starb Tadeusz Kantor, am Tag vor der Premiere seiner neuen Theaterproduktion Heute ist mein Geburtstag. Damit behielt er er recht, denn aus manipogo-Perspektive wurde er neu geboren: hinein in die andere Welt. Er betrat die Bühne nicht mehr, er verschwand durch den Hinterausgang, obwohl er mit seiner starken Präsenz immer vorn gestanden, in seinen Produktionen mitgewirkt hatte als Zeremonienmeister, immer fordernd und tobend, dann wieder nachdenkend, das Kinn in die Hand gestützt. Er war so präsent und hinterließ eine Leere.

Tadeusz Kantor, 1915 im damaligen Öterreich-Ungarn geboren, machte sich nach dem Krieg einen Namen als kompromissloser Regisseur, als Vertreter des »Theaters des Absurden«. 1955 gründete er in Krakau das Theater Cricot 2. In Cyrk (Zirkus) wickelte er die Schauspieler in schwarze Hüllen ein, damit sie unerkennbar wurden. Von 1960 bis 1962 betrieb er »Informel Theater«, das sich völlig auf den Zufall und die Bewegung von Objekten verließ. Die Schauspieler waren auch Objekte und wurden als solche behandelt.

Reading of 'Delivered!' at Trinidad Theatre Workshop. November 19th, 2015.

Reading of ‚Delivered!‘ at Trinidad Theatre Workshop. November 19th, 2015.

Zufrieden war Kantor damit nicht. Also ging er zum »Zero Theatre« über, in dem rein gar nichts passierte. Eines der Stücke hieß 1963 Der Irre und die Nonne. (Rechts ein Stück des Trinidad Theaters, 2015.) 1965 schuf er Happenings und sagte:

Bislang hatte ich versucht, die Bühne zu überwinden, aber jetzt habe ich sie voll und ganz hinter mir gelassen; das heißt, ich habe einen Ort verlassen, in dem die Beziehung zum Publikum stets wohl definiert ist. Als ich einen neuen Ort suchte, hatte ich theoretisch die ganze Wirklichkeit des Lebens zur Verfügung.

Doch Happenings als kreatives Medium funktionierten nicht so, wie Kantor sich das erhofft hatte. Er kehrte zum Theater zurück, und mit seinem berühmt gewordenen Stück Die tote Klasse begann 1975 die Phase des »Theaters des Todes« (Wer unbedingt mal reinschauen will: hier, 1:11 Stunden, polnisch mit englischen Untertiteln).

Unwillkürlich denkt man da an das »Theater der Grausamkeit« von Antonin Artaud, und man sollte dazu nachlesen, was Robert Bresson über seine improvisierten Filme sagte. Kantor wollte gewiss Wirkung erzielen und Verwirrung stiften; die Routine im Bühnenbetrieb von heute erinnert zu sehr an bequemen Konsum. Kantor wollte verstören wie Fellini, aber wohl auch eine höhere Wahrheit anstreben.

Tadeusz Kantor wurde berühmt, wurde verglichen mit Andy Warhol (da er auch ein begabter Maler war) und Joseph Beuys, wurde eingeladen nach Paris, Florenz und Edinburgh, und in einem kleinen Interview sagte eine Teilnehmerin, die Erfahrung mit Kantor und seinem Theater sei »life-changing« gewesen: Sie hätte ihr Leben verändert. Die Frau wurde Filmemacherin.

Kantors letzte Produktionen trugen programmatische Titel: Lass die Künstler verschwinden (1985), Hier komme ich nie mehr zurück (1988) und eben Heute ist mein Geburtstag.

 

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