Manische Einsamkeit
Cesare Pavese hatten wir zwei Mal, und nach drei Jahren darf es wieder ein Gedicht von ihm sein, der in der Nähe von Turin lebte, in den Langhe. Sein Tagebuch Mestiere di scrivere, das Handwerk des Schreibens, reimt sich auf mestiere di vivere — das Handwerk des Lebens. Er lebte von 1908 bis 1950.
Manische Einsamkeit
Ich esse Teil meines Abendbrots am hellen Fenster.
Das Zimmer ist dunkel, man sieht hoch zum Himmel.
Gehst du hinaus, führen dich ruhige Straßen
nach einer Weile aufs offene Land.
Ich esse und betrachte den Himmel — wer weiß,
wie viele Frauen jetzt essen –, und mein Körper gibt Ruhe:
Die Arbeit ermüdet ihn wie jede Frau.
Draußen, nach dem Essen, berühren die Sterne schon bald
auf der breiten Ebene die Erde. Die Sterne, sie leben,
anders als hier die Kirschen, die ess ich allein.
Ich sehe den Himmel und weiß, dass zwischen den rostigen Dächern
ein Licht aufglimmt hier und da, und drunter gibt’s Lärm.
Einen großen Schluck, und mein Körper saugt Leben,
das Leben der Pflanzen und Flüsse und fühlt sich weit weg.
Ein wenig Stille genügt, und alles bleibt stehen
am Ort, wo es ist, und so auch mein Körper.
Jedes Ding liegt so isoliert vor meinen Sinnen,
die sie akzeptieren ohne Problem, lärmende Stille.
Ich spür jedes Ding hier im Dunkeln
wie ich weiß, dass mein Blut fließt durch die Sehnen.
Die Ebene ist ein einziges Rauschen von Wasser auf Gras,
Abendessen der ganzen Natur. Jede Pflanze, jeder Stein
lebt unbeweglich. Ich hör, wie mein Essen mein Blut stärkt,
es kommt von allem, das auf dieser Hochfläche lebt.
Die Nacht ist nicht wichtig. Ein Viereck aus Himmel
flüstert mir etwas zu, und ein winziger Stern
plappert im Leeren, vom Essen weit weg,
und weg von den Häusern, er genügt nicht sich selbst
und braucht zuviel Gesellschaft. Hier im Dunkeln, allein
ist mein Körper in Ruhe und wie ein König.
Noch ein Gedicht von Pavese, diesmal düsterer Art:
Mond im August
Jenseits der gelben Hügel liegt das Meer,
jenseits der Wolken. Aber schreckliche Tage
aus sich wellenden Hügeln, knisternd am Himmel,
zersplittern noch vor dem Meer. Und oben sind Oliven
mit Pfützen aus Wasser, in denen sich nichts spiegelt,
und die Stoppeln, die Stoppeln, sie nehmen kein Ende.
Und hoch steigt der Mond. Der Ehemann liegt lang
in einem Feld, den Schädel zertrümmert, voll Sonne
— eine Ehefrau schafft es nicht, einen Kadaver zu schleppen
wie einen Sack –. Hoch steigt der Mond, wirft etwas Schatten
unter den verdrehten Zweigen. Die Frau im Schatten
zeigt dem blutigen Antlitz ein schreckhaftes Grinsen,
und das Blut gerinnt und durchtränkt jede Falte der Hügel.
Es regt sich nicht der ausgestreckte Kadaver im Feld
und nicht die Frau im Schatten. Es scheint das Auge aus Blut
jemandem zuzuzwinkern, um ihm den Weg zu zeigen.
Es weht plötzlich über die nackten Hügel
von fernher, und die Frau spürt es im Rücken,
wie wenn sich das Meer aus Getreide bewegt.
Die Zweige der wilden Oliven wuchern
in jenem Meer des Mondes, und der Schatten des Baums
scheint sich zu vergößern und sie verschlingen zu wollen.
Sie eilt nach draußen, im mondlichen Schrecken,
und ihr folgt das Rascheln der Brise, über die Steine,
und ein Umriss folgt, berührt ihre Sohlen,
und der Schmerz im Herzen. Gebückt erreicht sie den Schatten
und wirft sich auf die Steine, beißt sich auf die Lippen.
Unter ihr badet die Erde sich, dunkel, im Blut.
Mehr über Pavese:
Cesare Pavese — Was sich Deola denkt
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