Schamanen des 20. Jahrhunderts

Wir hocken ja schon eine Weile im 21. Jahrhundert, das ist mir bekannt, doch mein Titel ist der Titel eines Buchs von Ruth-Inge Heinze, einer namhaften Kultur-Anthropologin und Professorin. Ich finde, man muss über solche begabten und mutigen Frauen reden wie über Heinze und ihre Kolleginnen Felicitas Goodman, Edith Turner, Erika Bourguignon und Jeanne Achterberg.

Ihr Buch will ich ganz kurz vorstellen, weil ich es damals gelesen hatte. Sie selbst, Frau Heinze (1919-2007), gründete in Kalifornien eine Gesellschaft für indigenes Wissen und Heilung, die hier ihre Gründerin mit Bild vorstellt. In ihrem Buch gibt sie an, sie sei an der Ostsee geboren und habe bis Kriegsende 1945 in Berlin gelebt, bevor sie 30 Jahre in Indonesien, Kambodscha, Malaysia, Philippinen, China und Tibet den Schamanismus erforschte. In ihrem Buch Shamans of the 20th Century trug sie Daten zusammen. Wer will, kann das Buch, das 1991 erschien, hier ganz lesen. Ich fasse es kurz zusammen:

Schamanen waren laut Stanley Krippner in der Welt die »ersten Ärzte, die ersten Diagnostiker, die ersten Psychotherapeuten, die ersten Religions-Funktionäre, die ersten Magier, die ersten darstellenden Künstler und die ersten Geschichtenerzähler«. Nach Erika Bourguignon pflegten 89 Prozent von 488 Gesellschaften außergewöhnliche Bewusstseinszustände und erkannten sie an. (Denn die Schamenan gehen in Trance.) Schamanen machen keine Werbung, man kennt sie. Sie bringen die Menschen wieder in Harmonie mit ihrer Umgebung und wirken zwischen dem Heiligen und dem Profanen. Schamanen erinnerten uns daran, dass wir alle dem dynamischen »Flow« des Lebens folgen können. Die Autorin meinte:

Wenn der Ausdruck von Ekstase verhindert wird und sich nicht lebensspendenden Zielen zuwenden kann, führt dies zu Gewalt und Pathologie oder zum Krieg.

Schamanismus sei der Prototyp aller Religionen. Die Heiler beginnen meist zwischen dem 25. und 40. Lebensjahr, und meist ist eine Lebenskrise damit verbunden. Die Autorin arbeitete insgesamt mit 122 Schamanen zusammen. 90 Prozent hatten das Gefühl, ausgewählt worden zu sein. Sie schließen einen Kontrakt mit der Geistigen Welt ab: Sie verpflichten sich. Keiner der Schamanen, die Frau Heinze kennenlernte, nahm halluzinogene Substanzen. Es waren 86 Männer und 36 Frauen, und alle übten sie einen Job zum Geldverdienen aus. Die Kunden kamen von überall her, und manchmal veränderte sich deren Leben auf magische Weise und sie fühlten sich geliebt oder lernten einen neuen Partner kennen. Frau Heinze hält fest:

Die Existenz von Geistern können wir weder beweisen noch widerlegen.

Da war sie ganz Wissenschaftlerin. Sie war später Professorin an der Universität von Berkeley in Kalifornien.

¤ Ο ≠

Der Klimaforscher William C. Gough von der Universität Toronto (um ihn muss es sich handeln) kannte Ruth-Inge Heinze anscheinend gut und nannte sie eine »wunderbare Frau«. Über den Tag, als sie starb, schrieb er:

Am späten Nachmittag des 20. Juli 2007 entspannte ich mich in meinem Schaukelstuhl auf der holzgetäfelten Terrasse hinten an unserem Haus in Los Altos. Es war ein schöner Tag. Der Himmel war klar, und ein paar weiße dünne Wolken schwebten vorbei. Die Berge waren deutlich zu sehen mit ihrer Decke aus grünen Bäumen, die sich emporzog bis zu den Gipfeln. … Ich dachte an Ruth-Inge und wollte sie im Hospiz in Berkeley besuchen. Irgendwann während dieser Entspannungsphase schlief ich ein. 

Plötzlich tauchte ein klares Bild von Ruth-Inge vor meinem geistigen Auge auf. Es war viel deutlicher als die Bilder, die ich sonst bekomme. Ruth saß drinnen auf einem großen Stuhl, und hinter ihr schienen Vorhänge zu sein. Sie sah mich an und lächelte. Es war dieses »sparsame Halb-Lächeln«, das Ruth gewöhnlich zeigt, wenn sie mit einer Situation zufrieden ist. Ruth sah jünger aus als bei meinem letzten Besuch im Januar — eigentlich eher so, wie sie aussah, als wir uns vor 20 Jahren das erste Mal trafen. Das Bild war nicht in starken Farben wie im Fernsehen, und dennoch war es klar und in einen blauen Schein getaucht. Die Klarheit der Vision brachte mich aus dem Schlaf. (…)

Bevor ich zu Bett ging, kontrollierte ich meine E-Mails. Ich hatte eine von Jo Coffey bekommen: »Eine schöne Seele ist gegangen.« Ruth-Inge war am Nachmittag um 15.40 Uhr gestorben, an diesem Tag.

Weitere Artikel:

Carlos Castaneda (diesem Artikel habe ich meine beiden Bilder entnommen, nochmals Dank an die Library of Congress, Wash. D. C., sie sind von Edward S. Curtis 1868-1952) — Rückkehr ins Leben (16): Die Schamanin im TotenreichFlugverkehr (45): zum Vogel werdenCommunitasHeilen mit EnergieHeilen mit GeisternDie mächtigen ZauberinnenDer fliegende Zauberer.

Und: Lusungu (mit dem Bild der Zauberin! Unbedingt lesen!).

 

 

 

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