Bicycleran, sieben Tage im Kreis
Bicycleran heißt der Film von Mohsen Makhmalbaf, dem iranischen Filmregisseur, der mich interessierte. Die grammatikalische Form des Worts ist mir nicht ganz klar, im Arabischen heißt Fahrrad ad-darradscha. Der spanische Titel: El Ciclista (Der Radfahrer). Gedreht hat ihn Makhmalbaf 1989, als bei der Tour de France sich Greg Lemond und Laurent Fignon in Paris jenes hauchdünn ausgegangene Duell lieferten. El Ciclista ist anders.
Witzig sind die Entstehungsgeschichten mancher meiner Beiträge. Ich war am Abspülen und wollte auf dem Tablet nebenher etwas Arabisches sehen, und da fiel mir jener berühmte iranische Regisseur ein … oder er fiel mir nicht ein. Wie war sein Name gleich? Er fiel mir nicht ein. Also gab ich bei Google »iranische Filmregisseure« ein, und da war er: Abbas Kiarostami (1940-2016). Darüber stand Mohsen Makhmalbaf, von dem hatte ich auch schon gehört. Er ist in meinem Jahr geboren, 1957, hat 20 Filme gedreht, setzt sich für afghanische Flüchtlinge ein, lebt im Exil in Paris. Und da stand Bicycleran in seiner Filmliste, und es gab ihn auf Youtube, persisch, mit spanischen Untertiteln. Damit komme ich zurecht. (124 Abrufe in 10 Monaten. Helft ihm auf!)
Nasim ist ein armer Mann aus Afhanistan, der in Iran gekommen ist. Seine Frau hat Krämpfe und muss ins Krankenhaus. An der Rezeption wollen sie Geld. Nasims Scheine reichen für eine Nacht. Woher mehr Geld nehmen? Er muss sich ja auch um seinen Sohn kümmern. Die Gelegenheitsarbeiten bringen wenig ein. Angeblich war Nasim, der von Moharram Zaynalzadeh gespielt wird, früher ein begeisterter Radfahrer. Er ist früher schon einmal drei Tage nonstop gefahren.
Da gerät er an einen Zirkusbesitzer, und sie kommen überein, er werde eine Woche lang im Kreis fahren, ohne abzusteigen. Eine Attraktion! Also fährt Nasim in Zeitlupe immer im Kreis herum, betreut von Ärzten, beäugt von einem Schiedsrichter, angefeuert und beschimpft, und Wettkönige versuchen mit ihm reich zu werden, Politiker lassen sich mit ihm fotografieren, und Nasim fährt und fährt und fährt. Seiner Frau geht es zwischendurch besser, die Nächte in der Klinik werden bezahlt, der Radfahrer wird zum Helden, zur Projektionsfläche, und alle wünschen ihm, dass er es schafft. Er trägt Vollbart wie mein Freund Jan Paulsen aus Norwegen, darum sehen wir diesen rechts im Bild.
Afghanen haben wenig Geld, sie sind in Iran offenbar ganz unten angesiedelt. Ich erinnere mich an die Geschichte einer Frau mit vier Kindern, die in den Iran flüchtete und wieder zurück (Shirin-Gol in Afghanistan). 1980 der Überfall der Russen und nach den Amerikanern und UN-Truppen nun wieder die Taliban. 50 Jahre Elend. Doch man darf sich nicht unterkriegen lassen. Mohsen Makhmalbaf stellte sich der Misere, und zwischendurch musste ich an Federico Fellini denken, weil es grell zugeht und sarkastisch auch, alles ist überzeichnet, all diese angeblich einflussreichen Männer im Mercedes und mit ihren Schnurrbärten, die mit Bündeln Geldscheinen winken … und auch der Zirkus ist Fellini, und die heitere, manchmal wehmütige Musik auch. Sie untermalt zuweilen poetische Bilder: Wenn Nasim in der Nacht, begleitet von einem Scheinwerfer nur, einsam seine Runden fährt, halb am Einschlafen.
Und einen Running-Gag hat der Regisseur eingebaut: Am Anfang kommt ein Unternehmer mit einem Lastwagen und brüllt, dass er 2 Arbeiter brauche, denen er 50 am Tag geben wolle: zum Graben in der Wüste. Viele stürzen zum Lastwagen, er will jedoch nur zwei Männer. Im Fortgang, als Nasim allmählich bekannt wird, bietet der Unternehmer plötzlich 200, das Interesse ist mäßig, und am Ende will er 400 springen lassen, doch bleibt er ein einsamer Rufer in der Wüste …