Flug von Drachen
Flight of Kites ist der Titel eines iranischen Films von 2012, den Ali Ghavitan gedreht hat (auf Englisch schreibt man ihn Qavitan). Das kommt nach Bicycleran, weil es eigentlich auch ein Fahrradfilm ist. Der Lehrer, den sie in ein armes Dorf mit 12 Schulkindern schicken, fährt mit dem Rad dorthin, einem eleganten englischen Rad. Er fährt immer mit dem Rad umher, auf Straßen und Pisten durch dieses karge, schier endlose Land. (Ist das nun ein Flugverkehr oder ein Fahrrad-Beitrag? Keins von beiden: Kategorie Film!))
Es ist kein langer Film (78 Minuten), und man ihn sich auf Youtube ganz ansehen, mit englischen Untertiteln. Es passiert nicht viel, mit ein bißchen Englisch kommt man da durch. Die Vorgängerin des Lehrers konnte die Feindseligkeit der Dorfbewohner nicht ertragen und ging vorzeitig. Auch unser Lehrer — mit Vollbart, hager, weißem Anzug (der Regisseur selbst, Ali Ghavitan, ein wenig wie Nanni Moretti, wir sehen Ali hier in einem Artikel von 2018) — hat Probleme. Wenn Erntezeit ist, bleiben die Kinder der Schule fern und müssen in der Landwirtschaft helfen; das mag im Bayern vor 100 Jahren ähnlich gewesen sein. Vor allem der kleine Moslem, ein schlauer Bursche, wird von seinem Vater hart angepackt. (Er wird es später lernen, einige Koran-Suren zu rezitieren; wir erinnern uns, damit verdiente sich in einem Film aus Saudi-Arabien aus demselben Jahr, 2012 die kleine Wadjda Geld, um ihr grünes Fahrrad zu kaufen!)
Der Lehrer Sahrayi gibt aber nicht auf, lebt und schläft im Schulhaus, liest und rezitiert aus dem Koran, liebt aber auch die persischen Dichter: Hafiz, Firdusi, Rumi. Persien, wie Iran früher hieß, hat eine große Kultur aufzuweisen, und die Cineasten folgen diesem Erbe. Irans Filmschaffen ist großartig, gestern hatten wir Abbas Kiarostami und Mohsen Makhmalbaf. Es ist ein poetisches bildkräftiges Kino, das ohne große Effekte auskommt.
Ich lese ja gern die Kommentare auf Youtube. Einige Lehrer haben den Film gesehen, und einer schrieb: »Wow man amazing no words to say. After long time I can say that I watched a movie heart touching.« Ein anderer: »Ein sehr sanfter, das Herz berührender Film. Unschuldige Kinder; und noch unschuldiger ist ihr Lehrer. Ein guter Lehrer muss selber ein Kind sein.«
Schade, dass in den Nachrichten Iran immer nur als Bösewicht und Feind Israels vorkommt, auch wenn es wohl den Tatsachen entspricht. Es sind die Staatsmänner und die Mullahs, die den Hass predigen; die Intellektuellen wollen nachdenken und auf die Berge schauen, und das Volk will bloß seinen Frieden. Im Original heißt der Film Parvaz-e Badbadak’ha. Die Iraner oder Perser haben ihre eigene Sprache, Farsi, doch verwenden sie die arabischen Schriftzeichen.
Am Himmel schwebt immer ein selbstgemachter Drachen, den ein Schüler gebastelt hat, um etwas Eigenes am Himmel kreuzen zu sehen. Der Lehrer veranstaltet einen Drachenbau-Wettbewerb, bevor er in ein noch weiter entfernt liegendes Dorf geschickt wird. Er besteigt also sein Fahrrad und küsst zum Abschied den Dorfvorsteher.
Der Drachen ist in dem Film Flight of Kites ein wichtiges Symbol, und der Lehrer, dessen Stimme wir immer hören, als er uns seine Gedanken mitteilt, sagt:
Als ob das Leben von allen, auch das der Kinder und das meine, wie das Leben der Drachen wäre. Sie wollen fliegen, wollen mit dem Wind in die Zukunft fliegen, doch gleichzeitig sind sie an ihre Vergangenheit und an das Dorf angebunden. … Im Leben anderer war ich und die Kinder wie das Leben der Drachen. Manchmal bläst der Wind so stark, dass die Schnur reißt und wir verloren sind (und etwas verloren haben).
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