Problem in Bombay
Es gibt unschöne Themen, über die nicht geschrieben wird. Und wenn man mal etwas darüber liest, ist man verblüfft. Mich reizt es dann, das weiterzuführen; ja, warum nicht? Vor rund 3 Jahren habe ich »das Thema« bereits im Programm gehabt. Man sollte den Beitrag vorher lesen, und ich brauche nur den Titel zu nennen, damit alles klar wird: Dukatenscheißer.
Unser Auszug heute stammt aus dem Buch Bombay, Maximum City, das 2004 auf den Markt kam. Der indischstämmige Autor Suketu Mehta hat damals den Moloch Mumbai mit seinen 20 Millionen Menschen beschrieben, meint aber, der neue Name sei keineswegs Pflicht, die Inder benennten gern Plätze und Straßen und Städte um: Damit sich wenigstens da etwas ändert.
Mehtas jüngstes Buch heißt übrigens This Land Is Our Land, das Manifest eines Migranten. Laut der englischsprachigen Wikipedia schreibt der Autor darin:
Der Westen hat Menschen dazu gezwungen, Migranten zu werden. Das Recht auszuwandern ist eine überfälliger Ausgleich für jene Jahrhunderte von Erniedrigung und Ausbeutung.
Es erschien im Sommer 2019. Der Titel bezieht sich auf einen Song von Woodie Guthrie, der zu einer Art zweiter Nationalhymne wurde: »This Land Is Your Land.« Hier der erste Vers (und hier können wir das Lied hören):
This land is your land, this land is my land
From California to the New York Island
From the Redwood Forest to the Gulf Stream Waters
This land was made for you and me.
Nur wer sind du und ich? Ist mit du auch der mexikanische Einwanderer gemeint, der indianische Ureinwohner, die nigerianische Studentin? Oder meint Guthrie seinen weißen Freund oder seine weiße Partnerin? Mehta hat den Titel umformuliert: This Land Is Our Land. Gut so! Hör’s, Trump!
Ein anderer sah das auch so. Vor über 8 Jahren sagte Tony Bourdain am Ende seines Beitrags in Parts Unknown über Houston in Texas, und das war im ersten Jahr der ersten Amtszeit von Donald Trump (2016):
Manche Leute meinen ja: Macht Amerika wieder groß! Ich sage: Amerika war die ganze Zeit schon groß. Willkommen, Fremder! Dieses Land ist Dein Land.
Wer nun noch weiterlesen mag … Mehta erzählt:
Wenn ich morgens aus dem Fenster meines Arbeitszimmers blicke, sehe ich Männer, die auf den Felsen am Meer ihre Notdurft verrichten. Zweimal am Tag, wenn die Flut zurückweicht, zieht ein ekelhafter Gestank von diesen Felsen herein und legt sich über die eine halbe Million teuren Wohnungen im Osten. Der Werbefilmer Prahlad Kakkar hat einen Film mit dem Titel »Bombay« gemacht, einen Film über das Scheißen in der Metropole. Mit versteckten Videokameras filmte er in Toiletten überall in der Inselstadt Leute beim Verrichten ihres Geschäfts. Aber das sei nur die halbe Geschichte, erzählte er mir.
Die Hälfte der Einwohner verfügt über keine eigene Toilette. Das sind fünf Millionen Menschen. Wenn jeder davon ein halbes Kilo kackt, dann ergibt das zweieinhalb Millionen Kilo Scheiße jeden Tag. Die eigentliche Geschichte ist das, was man im Film nicht sieht. Es werden keine Frauen bei der Notdurft gezeigt. Sie müssen ihr Geschäft zwischen zwei Uhr nachts und fünf Uhr früh erledigen, denn nur in dieser Zeit sind sie ungestört.
Ist es denn zu fassen, der Werbefilmer, der das »Scheißen in der Metropole« abgefilmt hat, heißt Kakkar!! Und es ist keine Erfindung, es gibt ihn tatsächlich, er wurde in Mumbai 1950 geboren. Solche Späße macht sich das Leben! (Ein Spaß für uns; der Inder hat gewiss andere Wörter für die Exkremente.) Kakkar stieß anscheinend auf das Thema durch seinen Fahrer, der sich überall erleichterte, wo er seinen Chef hinbrachte. Er kam dann angelaufen und entschuldigte sich: »Sir, ich musste kurz kacken.« Er weiß immer, wo das geht. Die Weltbank hatte die laut Mehta absurde Idee, 100.000 transportable Toiletten aufstellen zu lassen. Ergebnis: Sie sind seit Jahren allesamt verstopft, weil sie niemand reinigt. Die Bürger lassen ihre Exkremente um die Toiletten herum zurück. Dann erwähnt der Autor noch:
Die Inder verfügen nicht über die Art von Gemeinsinn wie die Skandinavier. Der Bereich, den man sauber hält, endet an den Grenzen dessen, was man sein eigen nennt. …. Das gilt für ganz Bombay, für reiche wie arme Viertel gleichermaßen.
Und, so kann ich aus eigener Erfahrung hinzufügen: Für Italien gilt das auch. In Nord- wie in Süd-Italien, bei Arm und Reich.
Suketu Mehta: Bombay, Maximum City, Suhrkamp Frankfurt. S. 195