Zaman, der Mann aus dem Schilf

Seit ich an einem Arabisch-Kurs teilnehme, schaue ich mir zuhause gern arabische Filme an. Untertitel müssen sie freilich haben, ich verstehe ja vom Original meist kein einziges Wort. Ich verfolgte algerische Filme (Morituri von Okacha Touita), sah einen syrischen Film (Damascus with Love von Mohamad Abdulaziz) und landete dann beim Irak: Zaman.

Der Film ist aus dem Jahr 2003 und wurde kurz vor dem Überfall der USA und ihrer fragwürdigen Verbündeten gedreht, der am 20. März stattfand. Er war ein Verstoß gegen das Völkerrecht, und die Behauptung, das Land habe Massenvernichtungswaffen, war eine Lüge. Es wurden auch keine gefunden. In 6 Wochen hatte man das Land aufgerollt und Saddam Hussein entmachtet, und 100.000 Menschen kostete es das Leben.

Amer Alwan, ein irakischer Regisseur, ging mit seiner Truppe ganz in den Süden, in die Region der Sümpfe und des Schilfs am Ufer des Tigris. Zaman lebt mit seiner Frau Najma (wörtlich: der Stern) in einer Hütte. Jeden Morgen wäscht er sich im Fluss und betet, vor ihm das stille Wasser mit Palmen auf der anderen Uferseite. Der Film Zaman, der Mann aus dem Schilf, hat französische Untertitel.

Najma ist krank und hat Magenkrämpfe. Ein Medikament könnte sie retten, doch das gibt es nur in der großen Stadt, in Bagdad. Also setzt sich Zaman in sein Kanu und rudert gen Norden. Der Film ist deshalb ein River Movie, kein Road Movie. Zaman (Salif Kaftan), der seine Frau innig liebt, schlägt sich bis zum Medizinzentrum in Bagdad durch. Er betet viel.

Eine schöne Szene: Die junge Frau am Tresen will einen Personalausweis, den hat er nicht. Sie will ihren Direktor bitten, dass Zaman die Arznei bekommt. Der Direktor steckt einem gut gekleideten Herrn eine Tüte mit Medikamenten zu und sagt der jungen Frau, sie solle vertraulich in die Liste schreiben. Der Gutgeleidete braucht keinen Ausweis. Klar, da tut einer dem anderen einen Gefallen und will eine Gegenleistung; so ist die Welt. Der arme Mann aus dem Süden? fragt die Frau. Man könne ihn doch nicht zurückschicken! Er werde wie alle behandelt, da gebe es nichts, sagt der Direktor. Sie steckt Zaman das Medikament trotzdem zu. Das ist wunderschön. Solche kleinen Heldentaten aus Mitgefühl machen Mut. Zaman kann zurück und freut sich.

Es gab noch eine Stunde über »the Making of« dem Film. Die Zensurbehörde. Der Direktor des Filminstituts. Das Team wird denunziert, es habe nicht genehmigte Szenen gedreht; die Dreharbeiten werden gestoppt. Alwan muss antreten und sein Material abgeben, und 5 Stunden werden herausgeschnitten und einbehalten. Schließlich konnte der Regisseur in Frankreich den Film doch noch fertigstellen. (Man wundert sich, dass die im vorherigen Abschnitt geschilderte Szene drinbleiben durfte.) Er lief beim Festival von San Sebastian und in den USA sogar im Museum of Modern Arts in New York. Der Film fand viel Zuspruch, weil es ein poetischer, sympathischer und unspektakulärer Film über das Leben im Süden Iraks ist.

Der Regisseur drehte 2015 in seinem Heimatland einen weiteren Film, Al Hadj Nejim, der mich aber nicht überzeugte. 2019 war er noch als Schauspieler in Adieu à la nuit zu sehen. Manche kulturell Tätigen, die mit großen Hoffnungen beginnen, bleiben irgendwie hängen; sie träumen von der großen Karriere, doch dann fehlen das Geld oder der Einfall. Abderrahmane Sissako und Merzak Allouache sind Ausnahmeerscheinungen. Wie im Sport träumen alle von der großen Karriere, die dann nur einer von Tausend schafft. Amer Alwan, dieser gewinnende humorvolle Mann, ist dann am 4. Juli 2023 nördlich von Paris gestorben, 66 Jahre alt. Doch mit Zaman hat er uns etwas Schönes hinterlassen.

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