Lobpreis der Musik

Es fing mit dem Beitrag Ende der Ästhetik von Roger Behrens an, den ich beim Herumblättern in der jüngsten Zeitschrift der Schweizer Künstlervereinigung Visarte entdeckte, die den Grenzen der Kunst gewidmet ist. Behrens zitierte den Kapitalismus-Kritiker Mark Fisher, und sofort las ich alles von und über ihn, was im Internet zu finden war. Und endete bei der Musik, die uns vielleicht retten wird.  

Behrens schreibt, die radikale Linke sei gescheitert, und mit ihr auch die Ästhetik und die Kunst, die nur noch belanglos daherkomme. Alles lebe unter dem Diktat des Kapitals, unterliege dem »Sog der Verwertungslogik der Kommodifizierung, also dem Zur-Ware-werden«; und Kunst wird zum Accessoire der Kultur. Die Kulturindustrie, wie Adorno und Horkheimer die Massenmedien nannten, gibt den Ton an.

Mark Fisher schrieb in seinem Blog k-punk, den er von 2003 bis 2015 betrieb, der Kapitalismus wolle sich letzten Endes der Politik wie der Menschen entledigen. Der Beitrag heißt Democracy Is Joy, vom 23. Juli 2015,

Die verwirklichte Utopie des Kapitalismus wäre ein ausgebrannter Planet voller vollautomatisch funktionierender Fabriken, die Scheiße produzieren, die kein Mensch kaufen will, wobei ohnedies niemand mehr da ist, der etwas kaufen könnte, weil die Bedingungen für das Weiterexistieren dieser Fabriken gleichbedeutend mit der Zerstörung der Umwelt ist, in der Menschen leben können.

In seiner Kapitalismus-Kritik blieb Fisher, der von 1968 bis 2017 lebte (heute vor 8 Jahren ist er gestorben), dennoch konstruktiv. Er mahnte: »Negativität, nicht Pessimismus.«

Behrens erwähnt als Kern der Kunst das, was Herbert Marcuse beschrieb als »die Freiheit des Ausdrucks, die den Schriftsteller und Künstler befähigt, Menschen und Dinge bei ihrem Namen zu nennen – das Unnennenbare zu nennen«. Mark Fisher dachte vor allem an die Musik, die vielleicht mehr als alle anderen das »Prinzip Hoffnung« hörbar mache, vorstellbar als »tanzbarer, rauschhafter, erotisch aufgeladener Soundtrack vom Dream of a better Life, rückgekoppelt mit einer Sehnsucht nach dem ganz Anderen (Horkheimer), mit einem revolutionären Begehren …«

Musik trifft uns ins Innerste. Bildende Kunst und Bücher werden erst durch unseren Geist gefiltert und dringen dann ins Gemüt; die Musik geht sofort in die Eingeweide. Dagegen gibt es kein Mittel. Kurz vor Silvester sprach ich auf einem Spaziergang in Pioraco mit Sabrina darüber, einer Lehrerin in den Marken. Sie sagte, von Gott wolle sie nicht sprechen; die Musik sei für sie göttlich. Sie singt im Chor und erzählte, was Musik ihr bedeute. Völlig einverstanden.

Schopenhauer habe der Musik eine Ausnahmestellung unter den Künsten angewiesen, schrieb Rudolf Steiner und ergänzte:

Er nennt alle anderen Künste bloße Abbilder des Willens, die Musik nennt er eine unmittelbare Äußerung des Urwillens selbst. 

Musik ist Schwingung, und Schwingung ist alles, auch Poesie und Farben, die Blüte der Blumen und der Wind in den Ästen. Unsere Schwingung bestimmt über unseren Aufenthalt in der anderen Welt. Viel Liebe: rasche Schwingung. Je höher die Schwingungsrate, desto schöner.

— Später ließ ich Sabrina den Titel Nada Brahma – Die Welt ist Klang von Joachim-Ernst Berendt zukommen.

Auch Michael Grosso, der US-Philosoph, hat ein Buch über Musik geschrieben: The Yoga of Sound. Im Juni 2023 erwähnte er die drei Konflikte unserer Zeit: Konflikte mit uns selbst, was sich an den Selbstmordraten zeige; Konflikte mit anderen (die 40 innerstaatlichen Kämpfe und die 2 Kriege); Konflikte mit der Natur (die Bedrohung des Weltklimas). Grosso meint, das Leben selbst sei unser Instrument, um damit unsere Musik zu machen. Er erinnerte an Pythagoras und dessen Musik der Sphären sowie an die Musik, die Menschen bei Nahtod-Erfahrungen hören. Zwei Punkte waren ihm wichtig:

Erstens, was immer die Zukunft bringen mag, … kann uns die Kunst des Lebens lehren und uns darin begleiten. Doch die Kraft dieser Vereinigung hängt davon ab, wieviel von uns wir in lebensbejahende Praktiken einbringen. Dazu passen gut die Sprüche und Geschichten in meinem Buch von Nada Brahmananda. Seine Botschaft war, dass du, wo immer du bist oder wer du bist, immer lernen kannst, dich auf die unendliche Schwingung (vibe) einzustimmen, die tief in uns verborgen ist. Klopfe einfach mit dem Fuß den Rhythmus und halte deinen Geist auf den einen Punkt des Lichts gerichtet.

 

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Die Welt ist Klang

 

 

 

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