Terpsion beklagt sich (bei Pluto)

Lukian war ein ziemlicher Spötter und nahm in der Spätzeit der Griechen die Rolle ein, die 500 Jahre früher Aristophanes gespielt hatte, dessen Komödien unvergessen sind. Endlich mal eine Andeutung von Humor bei manipogo! Auch wenn es um Verstorbene geht, doch die nehmen ja nichts übel (meint man). Die Personen des 6. Totengesprächs: Terpsion und Pluto.

Zum Glück gibt es das im Gutenberg-Projekt, so muss ich es nicht abtippen. Da heißt es als Einführung über den Autor:

Lukian, griechischer Schriftsteller, geboren in Samosata am Euphrat um 120 (nach Christus), gestorben nach 180. Er kritisierte in Dialogen, Erzählungen und Briefen mit Satire, Parodie und Ironie die Gebrechen seiner Zeit: den religiösen Wahn, die Bedeutungslosigkeit der Philosophen und Literaten, die Eitelkeit der Rhetoren und die Leichtgläubigkeit des Publikums.

Das ganze Werk heißt »Gespräche der Götter und Meergötter, der Toten und der Hetären«. Übersetzt hat es Wieland, gewiss Christoph Maria Wieland aus Biberach (1733-1813), der schon mit 20 die Briefe von Verstorbenen an hinterlassene Freunde veröffentlichte. Zu dem Thema hatte er also Bezug. Wieland hat eine Menge geschrieben in 50 Jahren, aber so recht bekannt geworden ist nichts davon. Übersetzt hat er neben Lukian Aristophanes und Xenophon, Horaz und Shakespeare.

VI.

TERPSION. Ist das billig, Pluto, daß ich in meinem dreißigsten Jahr sterben mußte und der neunzigjährige Thukritus noch immer fortlebt?

PLUTO. Sehr billig, mein guter Terpsion, daß ein Mann lebe, der keinem seiner Freunde den Tod wünschet, du hingegen starbst, weil du jenem unaufhörlich nach dem Leben stelltest und aus Hunger nach seiner Erbschaft seinen Tod kaum erwarten konntest.

TERPSION. Wie? Gebührt es sich nicht, daß ein alter Mann, der seinen Reichtum nicht mehr genießen kann, abziehe und jüngern Leuten Platz mache?

PLUTO. Das ist ein ganz neues Gesetz, das du da gibst, Terpsion, und wodurch du einen jeden verurteilst, der seinen Reichtum nicht mehr zur Wollust brauchen kann: das Schicksal und die Natur haben es anders verordnet.

TERPSION. So behaupte ich, dass sie was Ungerechtes verordnet haben! Die Einrichtung hätte so getroffen werden sollen, dass man immer nach dem Alter aus der Welt gehen müsste; der älteste zuerst, dann der nächste nach ihm und so weiter: nicht um gekehrt, daß ein steinalter Greis, der kaum noch drei Zähne im Munde hat, beinahe aller Sinnen beraubt ist und sich mit Hülfe von vier Bedienten kaum noch von einem Stuhle zum andern fortschleppen kann, kurz, der ein Spott der Kinder und ein lebendiges Grabmal ist, dass so einer immer noch fortlebe, die schönsten und gesundesten jungen Männer hingegen sterben müssen; welches ebenso widersinnisch ist, als wenn die Ströme rückwärts zu ihrer Quelle liefen. Wenigstens sollte man die Zeit eigentlich wissen können, wann ein solcher Alter sterben wird, damit man sich darnach richten könnte und ihnen nicht vergebens die Cour machte. Hingegen so wie es jetzt ist, muss oft, wie das Sprüchwort sagt, der Wagen den Ochsen ziehen.

PLUTO. Das alles, mein guter Terpsion, hat das Schicksal verständiger eingerichtet als du dir einbildest. Und am Ende, wer heißt euch so gierig nach anderer Vermögen schnappen und euch von kinderlosen Greisen alles gefallen lassen, in Hoffnung ihre Erben zu werden? Billig werdet ihr dann ausgelacht, wenn sie euch begraben, und sooft so etwas begegnet, verursacht es immer eine allgemeine Freude; je ungeduldiger ihr auf jener ihren Tod geharret habt, je angenehmer ist es allen Leuten, wenn ihr vor ihnen sterbet. Ihr habt da wahrlich eine ganz neue Kunst erfunden, euch in alte Weiber und Greise zu verlieben – die keine Kinder haben, versteht sich; denn dieser Umstand gehört dazu, wenn ihr sie liebenswürdig finden sollt. Daher sind auch manche unter ihnen, weil sie das Hinterlistige in eurer Liebe merken, schlau genug, List mit List zu bezahlen, und stellen sich, um auch Liebhaber zu bekommen, als ob sie ihre Kinder nicht leiden könnten. Aber wenn es zum Testamentmachen kommt, werden die eigennützigen Augendiener doch ausgeschlossen, die Natur behält wie billig die Oberhand, und jene beißen die Zähne zusammen und werden zu ihrem Schaden noch ausgelacht.

TERPSION. Was du sagst, ist nur allzu wahr. Wieviel hat nicht der alte Thukritus von mir erbeutet, während er immer seinem Ende nahe schien, und, sobald ich in sein Zimmer trat, zu ächzen und aus dem Innersten heraus, wie ein eben aus dem Ei gekrochenes Küchelchen, zu piepen anfing! In der festen Überzeugung also, daß er den einen Fuß schon im Grabe habe, glaubte ich ihm nie genug schicken zu können, damit ich ja nicht von meinen Nebenbuhlern an Größe der Präsente übertroffen würde. Die Sorge, das alles auszurechnen und anzuordnen, machte mir manche schlaflose Nacht, ja ich bin gewiß, daß beides die Ursache meines Todes gewesen ist: und der alte Sünder, der eine solche Menge Lockspeise auf meine Kosten verschlungen hat, stand dabei, da ich gestern begraben wurde, und lachte in seinen Bart hinein!

PLUTO. Bravo, alter Thukritus, lebe so lange als menschenmöglich, und sei reich, und lache über die wackern Leute, die dich so gerne beerben möchten! Stirb mir ja nicht, ehe du alle deine Anbeter vorangeschickt hast!

TERPSION. Auch mir kann jetzt nichts Angenehmers mehr begegnen, als wenn Chariades auch vor dem Alten sterben müsste.

PLUTO. Verlass dich darauf, Terpsion! Auch Pheidon und Melantus und alle übrigen sollen ihm zuvorkommen und von ebendenselben Sorgen hieher gebracht werden wie du!

TERPSION. Das freut mich! Es lebe Thukritus!

∃ ξ

Oben rechts der manipogo-Autor als alter Mann, stark geschminkt, 1978 (mit 21) in einer Aufführung der »English Drama Group« an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Dazu sollte man lesen:

Pluto

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