Rückkehr ins Leben (22): Hebels Hinrichtungen
Sehr geglückt ist dieser Titel Rückkehr ins Leben nicht; erst sollt es ja nur um Menschen geben, die der Hinrichtung entronnen sind. Aber dann kamen neue Episoden, die keine Nahtod-Erfahrungen und keine Rettungen vor dem Hinrichtungstod waren. Also machen wir mit dem Seroentitel weiter und gehen zur ersten Folge zurück, die Johann Peter Hebel maßgebend prägte. Vier Jahre später mehr von Hebel!
Kürzlich wieder im Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes geblättert, und da fand ich zwei weitere Geschichten von Menschen, die der Exekution entkamen. Die erste ist Des Seilers Antwort. Wir müssen sie vielleicht nicht ganz hören. Jedenfalls: Ein Mann hatte ein Ross gestohlen und wurde dafür zum Tod verurteilt. Grausame Strafe. Der Henkersknecht hatte ihm das Halsband umgelegt und stieß ihn von der Leiter, doch der Mann »zuckte noch lange mit den Augen hin und her«. Das Volk fing an zu murren, der Henker wurde nervös. Was tat er?
So warf er sich endlich in der Angst an den Gehenkten hin, umfasste ihn mit beiden Armen, als wenn er wollte von ihm Abschied nehmen und zog mit aller Kraft, damit die Schlinge fest zusammengehen und hm den Atem töten sollte. Da brach der Strick entzwei und fielen beide miteinander auf die Erde hinab, als wenn sie nie wären droben gewesen. Der Missetäter lebte noch und sein Advokat hat ihn nachher gerettet.
Ich glaube, dass einer, bei dem die Hinrichtung schiefging, freigelassen wurde; es war sozusagen Schicksal. – Der Henker aber bedrohte den Seiler, der den Strick gefertigt hatte: »Man hätte euch selber dran henken sollen.« Der Seiler behielt seine Gemütsruhe und erwiderte: »Es hat mir niemand gesagt, dass er zwei Schelmen tragensoll. Für einen war er stark genug, du oder der Rossdieb.«
Das war des Seilers Antwort.
ϖ ℘
In der Geschichte Das heimliche Gericht soll einem leichtfertigen und verdorbenen Gesellen eine Lehre erteilt werden. Der Mann machte eine Menge Schulden und zahlte sie nicht zurück, trank in den Wirtshäusern, verführte Frauen und sprach von anderen so, als hätte er sie verführt. Eine schöne, wohlerzogene Frau wollte sich das nicht gefallen lassen …
Als er mit seinem Kaleschlein (eine kleine Kutsche) zu einer Nachtgesellschaft fahren wollte, umzingelten ihn plötzlich bewaffnete Reiter und dirigierten das Gefährt des Mannes aus der Stadt hinaus. Er musste einen Turm hochsteigen und einen Gefängnisraum beziehen. Stuhl, Tisch, Lager, Lampe, Totenkopf. Ein vermummter Mann, der sagte: »Geh in dich.«
Am nächsten Tag wurde der junge Luftikus vor ein Gericht geführt, das aus zwölf Männern in schwarzen Roben bestand und ihm sein Südenregister vortrug. Danach durfte er über sich nachdenken. Und wieder einen Tag später sagte ihm der Richter:
Der Stab ist gebrochen über Euer Leben und Eure Sünden.
Er werde eine Stunde nach Mitternacht durch das Beil sterben. Auf dem Hof sah er das Gerüst und beichtete in einer schwach erhellten Kapelle einem Priester, und um ein Uhr musste der Delinquent seinem Sarg folgen, hin zum Blutgerüst.
Aber als er mit verbundenen Augen und entblößtem Hals den Kopf auf den Block gelegt hatte und den Todesstreich erwartete, rief eine barmherzige Stimme: Gnade. Der geneigte Leser atmet wieder. Aber der arme Sünder war so weit hinweg, dass er das Wort Gnade von dem Todesstreich nicht mehr unterscheiden konnte, sondern er glaubte, dieses Wort habe seinen Kopf vom Leib getrennt, und es sei jetzt seine Schuldigkeit, tot zu sein. Denn er fiuel in eine so schwere und tiefe Ohnmacht, dass er in der ersten Stunde nicht wusste, was mit ihm vorging.
Dann war alles fingiert?! Auch das ist über alle Maßen grausam; manche sterben da vor Schreck. Der Mann wacht in einem Krankenbett auf, zwei Ärzte kümmern sich um ihn, und er erfährt, das geheime Gericht habe ihn begnadigt. Er solle hinfort nicht noch einmal sündigen. Der Gerettete wurde mit verbundenen Augen dorthin zurückgebracht, wo man ihn entführt hatte.
Er soll auch nicht mehr gesündigt haben und jeden Sonntag in die Kirche geeilt sein. Er kümmerte sich um seine Habe und zahlte seine Schulden zurück. Ja, so eine Moral möchte man gern, sie macht sich gut in Märchen und Legenden. Nun gut, glauben wir heute einmal daran!