Der Herr aus San Francisco
Die Erzählung Gospodin iz San Francisco von Iwan Bunin erschien erstmals 1916 und wurde 1922 ins Deutsche übersetzt. Sie steht in meinem 5 Kilo schweren Band Ruhm und Ehre über die Literatur-Nobelpreisträger bis 1969. Von Bunins Novelle, die ihn schlagartig berühmt machte, hatte ich nur einen Satz im Kopf, ich hatte sie vor Jahrzehnten mal gelesen; ich musste sie haben!
Schon oft kurios, wie ich zu einem manipogo-Beitrag komme! Ich stieß irgendwo auf den Namen Bunins. Er war 1870 geboren, verließ im Ersten Weltkrieg Russland und lebte auf Capri; da er Antibolschewik war, musste er nach der Revolution 1919 abermals weg, und seither lebte er meist in Paris, wo er auch 1953 starb. Er war 1933 der erste Russe, dem der Literatur-Nobelpreis zuerkannt wurde. Doch in seinem Land wurde das totgeschwiegen; es durfte nicht sein, denn er war Antikommunist.
Auf Russisch habe ich Erzählungen von ihm. Doch ich wollte den Herrn aus San Francisco! Ich erinnerte mich daran, wie ein Diener bei ihm anklopft und ihn, der tot in seinem Zimmer liegt, imitiert: »Yes, come in.« Den Prachtband Ruhm und Ehre fand ich zu Hause nicht, er stand wohl im Bücherschrank des Altenheims, und da ich ohnehin an jenem letzten Sonntag im März dort einen Besuch machen wollte, holte ich ihn mir und vertiefte mich in die Novelle. Bunin war Realist, aber er war ein Sprachkünstler, der dicht und exakt schildert, ausschweifend und auch mit Humor.
Der Herr aus San Francisco ist reich geworden, hat eine stattliche Frau und ein schwächliches Töchterlein. Nun, mit 58 Jahren, meint er, sich eine zweijährige Erholungsreise gönnen zu können und besteigt mit Frau und Kind das Kreuzfahrtschiff Atlantide. Solche Kolosse gab es damals schon, mit Restaurants, Orchester und Bällen, einem dekorativen Kapitän und vielen Landausflügen. Wunderbar schildert Bunin die Atmosphäre auf dem Schiff. Neapel ist schön, aber es herrscht Nebel. Also lassen sich die drei zur Insel Capri übersetzen und beziehen die Nobelsuite des besten Hotels auf der Insel. Von der Überfahrt ist ihnen übel, doch der Höhepunkt des Tages winkt: das Diner. Das Hotel thront über Capri.
Der Herr aus San Francisco (seinen Namen erfahren wir nie) zwängt sich in schöne Klamotten. Da tritt der Autor, der bislang nur die Gedanken des Töchterleins offenbar machte, an seine Figur heran und gleichzeitig von der Geschichte zurück und schreibt:
Was fühlte, was dachte der Herr aus San Francisco an diesem für ihn so bedeutsamen Abend? Gar nichts Besonderes fühlte er; denn darin eben liegt ja das ganze Unglück, dass auf dieser Welt dem äußeren Anschein nach alles gar so einfach ist! Wenn er in seiner Seele auch nur eine Ahnung davon verspürt hätte, dass etwas geschehen würde, so würde er gleichwohl gedacht haben, dass es noch nicht bald, auf keinen Fall dass es sofort geschehen würde.
Der schön Ausstaffierte kauft sich eine Zigarre und begibt sich ins Raucherzimmer, um die Zeitung zu lesen. Bald verschwimmen die Buchstaben vor seinen Augen, er kippt vornüber und fällt röchelnd, sich windend, zu Boden. Ein anwesender Deutscher beginnt zu schreien, das Essen wird unterbrochen, alle rennen und fragen, was geschehen sei. Der Autor:
Und niemand antwortete vernünftig, und niemand begriff etwas, da bis zum heutigen Tage noch die Menschen sich über nichts so verwundern wie über den Tod und um nichts auf der Welt an ihn glauben wollen.
Man schleppt den Sterbenden in sein Zimmer, wo er noch einmal röchelt und bald verscheidet. Luigi, der Diener, klopft und imitiert den Herrn aus San Francisco, der immer antwortete: »Yes, come in.« Das Hotel fürchtet schlechte Presse und will den Toten rasch entfernt haben. »Kalte Abreise« heißt so ein Tod im Hotel-Jargon. Man entfernt aus einer Kiste die Sodaflaschen, und ein Kutscher bringt den improvisierten Sarg zur Anlegestelle. Der Tote ist in der Erzählung nicht fort und vergessen; Iwan Bunin folgt dem Körper, der schließlich in Sorrent in einem Ozeandampfer ganz unten neben den Maschinenräumen untergebracht wird. Es ist der nämliche Dampfer, mit dem der Herr aus San Francisco angereist war. Tochter und Frau reisen mit ihm zurück.
Auf dem Schiff wartet alles wieder auf einen Ball, das Orchester spielt, und wie immer anwesend ist das schöne Liebespaar, das von der Reederei bezahlt wird, um Verliebtheit zu mimen. Der Autor blickt zum Schluss hinter die Fassade des schönen Scheins, des müden Spektakels:
Und niemand wusste, dass es dieses Paar schon lange überdrüssig war, sich zu den Klängen der schamlos-wollüstigen Musik in seiner geheuchelten seligen Liebesglut zu winden, – noch, dass tief, tief unter ihnen auf dem Grunde des Kielraumes ein verpichter Sarg dicht bei den finstern, glutheißen Eingeweiden des Schiffes stand, das mühsam ringend das Dunkel, den Ozean, den Schneesturm überwand.
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