Die Apotheken-Umschau und der Tod

Wie wir sterben wollen, stand auf der Apotheken-Umschau vom 15. Mai, dem Tag, an dem manipogo lobend ihren Nahtod-Beitrag erwähnte. Nun aber wieder ein säkularer Artikel (also ein weltlicher), der kurz gestreift werden soll, denn so erfahren wir etwas über das kollektive Denken, den Mainstream. Apotheker denken, wie Ärzte denken, und Ärzte denken, wie Materialisten denken. Klärt euer Vermögen, macht ein Testament!

Am Ende heißt die Überschrift, wo es auf dem Umschlag heißt Wie wir sterben; wie wir sterben wollen. Unterzeile: Wunsch und Wirklichkeit liegen oft auseinander. Ja, 72 Prozent der Deutschen würden gern zu Hause einschlafen, jedoch sterben 70 Prozent im Krankenhaus verdrahtet oder im Pflegeheim verlassen (das jedoch stimmt nicht). Über die Empfindungen kurz vor dem Tod wird ein Journalist zitiert, na ja, was weiß der schon; ich finde, Journalisten sollte man nicht zitieren.

Bald wird dann eine echte Buchautorin zitiert, Alina Buyx, die das Buch Leben und Sterben geschrieben hat. Man zitiert sie mit dem sonderbaren Satz:

Wir sind eine alternde Gesellschaft und sehen gerade sehr deutlich, unter was für einem finanziellen Druck wir in den nächsten Jahren stehen werden.

Ich glaube gewiss, dass man andere Sätze aus dem Buch zitieren hätte können, die Autorin kann nichts dafür, aber wir fragen uns: In einem der wohlhabendsten Länder der Erde macht man sich Sorgen um die Zukunft??! Was heißt das? Befürchtet man, dass die Beerdigung extrem teuer wird? Ist das alles, was uns interessiert? Die Umschau legt das nahe.

Interessant, dass die Phase vor dem (natürlichen) Tod mit dem frühkindlichen Stadium verglichen wird: Es gibt Parallelen. Klar, das Leben verläuft zyklisch, so um die 40 geht es bergab, und am Ende wieder die Nabelschnur, die reißt, der Tunnel und das Licht mit der Neugeburt dort drüben. Das kommt bei der Apotheken-Umschau natürlich nicht vor.

Interessant auch die Geschichte von Marilyn und Irvin D. Yalom. Letzterer erschien bei manipogo, er hat über Paula geschrieben und andere, als Psychiater. Nun ist er ßber 80 und kann nichts mehr abliefern, und Marilyn war todkrank. Sie waren 65 Jahre verheiratet. Natürlich haben sie gemeinsam ein Buch geschrieben, Unzertrennlich. Bis zum Tod. Bis dass der Tod euch scheidet. Körperlich tut er das. Aber tut er das wirklich? Die Liebe lebt fort.

Es gehe in der letzten Phase darum, wass wichtig sei, was wir erreicht und was wir verpasst hätten. Wenn man Verletzungen und Gefühle benennen könne, so die Analytikerin Cécile Loetz, dann könnten wir sie betrauern. Gut. Wir können loslassen und abschließen.

In unserem Altenheim ist ein netter kleiner autistischer Mann, der immerzu fragt: »Wie lange bleibst du?« Als nächstes fragt er: »Und dann? – Und dann?« Kinder fragen so etwas auch. Der Mensch lebt in die Zukunft hinein. Die Apotheken-Umschau fragt es nicht. Natürlich gibt es Bücher mit Tipps zur Abiturprüfung und Tipps für die Hochzeitsfeier, für eine Renovierung oder einen Autokauf, aber da ist mitgedacht, dass es dann weitergeht. Oder mit Tipps, wie man seinen Koffer packt. Aber sie glauben ja nicht, dasss es weitergeht, der Nahtod-Artikel war wohl nur pflichtgemäß abgeliefert. Packt schön eure Sachen, die Nachbarin wird die Blumen gießen, aber Verreisen ist nicht. Am Ende ist Ende.

Die Umschau hat rechts auf der letzten Seite des Artikels noch eine scheinbar wichtige Botschaft angebracht, größer gedruckt, wobei man meint, es sei vielleicht etwas Tröstendes, so ungefähr wie »Sterben ist nicht so schlimm« … Weit gefehlt:

Ich finde, eines der größten Missverständnisse in unserer Gesellschaft ist, dass, wenn jemand gestorben ist, alles ganz schnell gehen muss. Aber man hat Zeit. Man kann seine Verstorbenen 24 bis 48 Stunden zu Hause behalten.

Wozu das? Das sagte Sarah Benz, Bestatterin aus Berlin. Die Gute ist wohl schon etwas betriebsblind. Ich persönlich finde, das größte Missverständnis in unserer Gesellschaft ist die Ansicht, dass mit dem Tod alles vorbei ist.

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