Flugverkehr (176): Nachtflug

Antoine de Saint-Éxupéry (1900-1944) hat das Buch Der kleine Prinz geschrieben, das sich 140 Millionen Mal verkaufte (ich habe 3 Exemplare davon). Heute geht es aber um sein drittes Buch, den Nachtflug. Es behandelt die Pionierzeit der Postfliegerei vor 100 Jahren. Die Piloten mussten sich daran gewöhnen, auch nachts zu fliegen, um schneller zu sein als Autobusse, Lastwagen und Schiffe.

Der Held ist Rivière, der auf dem Flughafen Buenos Aires für die Operationen der drei Postflugzeuge zuständig ist. Er gibt die Befehle und steht mit seinem ganzen Wesen für diese Aufgabe. Rivière ist ernst und verantwortungsbewusst, streng und prinzipientreu, und er liebt seine Piloten.

Geradezu das Gegenteil von ihm ist der Kommandant in Pilote de guerre (Flug nach Arras), das Saint-Éxupéry 10 Jahre später schrieb. Der Kommandant gibt Befehle des Stabs weiter, der keine Ahnung hat und nur retten will, was noch zu retten ist in diesem völlig sinnlosen Krieg, wie der Autor schrieb. Sinnlos wurden junge Menschen geopfert, und auf dem Land starb eine Million von ihnen in den Schützengräben.

Doch wir hören uns die Geschichte eines beginnenden Nachtflugs an, überaus poetisch geschildert. Übersetzt hat sie Hans Reisiger. Der Pilot heißt Fabien.

»Ich sehe die Zeiger nicht mehr; ich mache Licht.«
Er schaltete die Instrumentenbeleuchtung ein, aber die roten Lampen warfen in diesem Dämmerfilm nur ein so schwaches Licht auf die Zeiger, dass es sie nicht färbte. Er führte die Finger vor einer Birne vorbei: sie röteten sich kaum. 
»Zu früh.«

Indessen stieg die Nacht herauf wie dunkler Rauch und füllte schon die Täler. Die Formen der Ebene unterschied man nicht mehr. Aber dafür blitzten jetzt die Dörfer auf, Sternbilder, die einander antworteten. Und auch er ließ mit dem Finger seine Positionslichter blinken zur Antwort. Die ganze Erde war übersponnen von Lichtgrüßen, jedes Haus zündete seinen Stern an vor der unendlichen Nacht, gleichwie man das Feuer eines Leuchtturms gegen das Meer wendet. Alles, was Menschenleben barg, glitzerte. Fabien schwoll das Herz. Ja, wie in einen Hafen war diesmal die Einfahrt in die Nacht, sacht und schön. 

(…) Die fünfhundert Pferdekräfte des Motors erweckten in der Materie einen ganz leisen Strom, der ihre Eishärte in Fleisch und Strom verwandelte, sammetweich anzufühlen. So war es immer. Weder Schwindel noch Rauch empfand man im Flug, sondern nur das geheimnisvolle Arbeiten einer lebendigen Substanz. 
Er hatte sich jetzt seine Welt zurechtgerichtet und rückte sich mit dem Ellebogen bequem darin zurecht. (…)

Und so, wach im Herzen der Nacht wie ein Totenwächter, wurde er sich plötzlich bewusst, dass das Menschenwesen da drunten bei Nacht deutlicher hervortrat als bei Tage: diese Lichter, diese stummen Rufe, diese Unruhe. Der einzelne Stern dort im Dunkeln: die Einsamkeit eines Hauses. Einer erlischt: das ist ein Haus, das sich über seiner Liebe schließt. (…)

So kamen die drei Postflugzeuge von Patagonien, von Chile und von Paraguay, von Süden, Westen und Norden her zurückgeflogen auf Buenos Aires zu. Dort erwartete man ihre Fracht, um gegen Mitternacht den Europakurier zu starten. 

ξ ξ

Siggi, unser Uganda-Reiseleiter, der früher Pilot und Piloten-Ausbilder war, hat als erstes Buch von St.-Exupéry den Nachtflug gelesen. Er erzählte mir vor einem Monat, dass er einige Male nach England geflogen sei und dann wieder zurück, Richtung Azoren, und als sie die letzten Lichter von Land’s End hinter sich gelassen hätten, sei es plötzlich total still geworden. Kein Funkverkehr mehr; und unter ihnen lag nur mehr die Schwärze des Meeres.

 

(aus: Nachtflug, Rowohlt Taschenbuch 1979, S. 17-21)

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