Akutagawa
Der Film Rashomon von Akira Kurosawa ist weltberühmt geworden. Wenige aber wissen, von wem die Vorlage stammt. Ryunosuke Akutagawa (1892-1927) schrieb überraschend moderne Kurzprosa, und Kurosawa verwendete die Erzählungen Rashomon und Im Dickicht.
Das Glück wollte es, dass in einem Regal im Umland sich ein Band mit Prosastücken des japanischen Erzählers fand, dessen Denken gewiss der japanischen Zeitströmungen und der strengen Sitte seines Landes zuwiderlief. Wir wissen nicht, was ihn in den Freitod trieb; doch er hat Kleinodien hinterlassen. Ich will nur eine Stelle zitieren, die mir sehr gefiel. Sie hat mich an Stephen Chang erinnert, der am 13. Geburtstag manipogos auftrat. Und es hat mit dem Schreiben zu tun, mit der Kreativität, mit göttlicher Inspiration.
Die Geschichte heißt Die Versunkenheit des Dichters. Sankichi Takizawa Bakin ist ein mittelmäßig erfolgreicher Autor von etwa 60 Jahren. Er hört im Badhaus Lobreden, aber auch Abfälliges über sein Werk. Sein Verleger kommt vorbei und bittet um ein Manuskript; Bakin schickt ihn weg. Er liest, was er am Abend zuvor geschrieben hatte und ist enttäuscht: es kommt ihm phrasenhaft vor und wenig gelungen. Dennoch will er seine Arbeit fortsetzen. »Ich werde unverdrossen weiterschreiben», verspricht er seinem Enkel. Dann wird es Abend. Nun zum Text, der übersetzt wurde von Jürgen Berndt für den Verlag Volk und Welt in Berlin (Rashomon, 3. Auflage 1985).
Bakin saß im trüben Schein der zylindrischen Lampe vor dem Manuskript zu seiner Geschichte von den acht Helden. … Als Bakin zum erstenmal den Pinsel ansetzte, glomm etwas wie ein vager Schimmer auf. Doch nachdem er so zehn oder zwanzig Zeilen niedergeschrieben hatte, wurde aus dem vagen Schimmer allmählich ein helles Leuchten. Bakin, der aus Erfahrung wusste, was dieses Leuchten bedeutet, schrieb und schrieb. Denn mit der Inspiration ist es nicht anders als wie mit der Flamme: Gibt man ihr keine Nahrung, erlischt sie nach kurzem Flackern wieder.
Nicht so hastig! Überlege dir genau, was du schreibst! flüsterte Bakin sich immer wieder zu, den Pinsel mahnend, der ihm davonzueilen drohte. Indessen glitt das Leuchten, das vorhin noch einem zerberstenden Stern glich, nun schneller als ein Fluss durch seinen Kopf. Und mit jedem Augenblick mehr Kraft gewinnend, trieb es ihn voran, ob er wollte oder nicht.
Bakin nahm nicht mehr das Zirpen der Zikaden wahr. Auch das trübe Licht der Lampe schien jetzt seinen Augen keinerlei Pein mehr zu bereiten. Der Pinsel huschte fast wie von selbst über das Papier. Bakin schrieb wie besessen, ohne aufzublicken.
Der Strom in seinem Kopf schwoll unaufhörlich an und glich bald der Milchstraße hoch oben am Firmament. Die ungeheure Gewalt erschreckte ihn, und er begann zu fürchten, dass seine physischen Kräfte dem nicht gewachsen sein könnten. Doch dann fasste er den Pinsel fester und rief sich zu: Biete alles auf, was in dir steckt, und schreibe! Denn was du jetzt schreibst, das wirst du nur jetzt und niemals wieder schreiben können.
Aber die Flut des Lichtes verlor nichts von ihrer Geschwindigkeit. Ja, sie überströmte alles in ihrem schwindelnden raschen Lauf, brandete gegen Bakin an, der schließlich ihr Gefangener wurde. Alles um sich her vergessend, führte der Dichter seinen Pinsel mit Sturmgewalt voran.
Zu dieser Zeit sahen seine königlichen Augen nicht Vorteil oder Nachteil, nicht Liebe oder Hass. Sie sahen nicht einmal sein eigenes Herz, das durch Kritik so leicht zu kränken war. Da war nur noch eine wundersame Freude, ein Verzücken, eine unendliche Begeisterung. Wer diese Begeisterung nicht kennt, wie soll der das Versunkensein des Dichters je verstehen, wie soll der die ernste Seele eines Dichters je begreifen? (..)
Akutagawa Ryonusuke kannte sie wohl, jene Begeisterung. Und er hat sie vortrefflich geschildert.
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