# 28/29 Glaube
Seit es manipogo gibt, bespreche ich das jeweils neue Heft der Kritischen Ausgabe in Bonn, weil ich bei deren Internetauftritt K. A. plus eine Kolumne hatte. Im Mai soll es auch ein Rückblickheft geben (das erste erschien 1997), mit auch einem Beitrag von mir über den Kriminalroman.
Wikipedia hat einen Eintrag zur Kritischen Ausgabe, so erspare ich mir die Details. Ich möchte mich auch nicht wiederholen, also gleich zum Heft über den Glauben, das ein Doppelheft ist (28/29). Aktuelles Thema, 133 Seiten, also fast ein Buch, und das für 6 Euro. Mir hat das Heft jedenfalls sehr gut gefallen. Es hat mich mehr inspiriert als alle früheren, was nicht daran lag, dass Glaube ein für mich wichtiges Thema ist, sondern an ein paar vorzüglichen Beiträgen. Verantwortlich für den Band sind Fabian Beer, Isabella Daviotis & Anne Katrin Sommer.
Man kann nur ein paar Schlaglichter werfen. Dabei ist manipogo genauso synkretistisch wie die derzeitige Religiosität, nach Ansicht von Swen Schulte Eickholt, die sich im »Baukasten des Religiösen« bedient und die vom Autor mit Begriffen wie »gegenwärtige Wohlfühl-Religion« und »postmoderne Spielreligion« belegt wird.
An Daniel Kehlmanns Buch Beerholms Vorstellung interessiert Martin Stobbe das postsäkulare Erzählen, und wir lernen, dass diese Gesellschaft nicht unbedingt areligiös ist, sondern dass … sie irgendwie alles ist, Resakralisierung, Desäularisierung, Postsakularität; die »neue Unübersichtlichkeit«. Und diesem Artikel lässt sich auch bequem ein schöner Satz Literaturwissenschaftsgeschwurbels entnehmen: »Beerholms Vorstellung wird vom titelgebenden Protagonisten Arthur Beerholm autodiegetisch mit einer ausgedehnten Analepse erzählt, die am Ende mit der Erzählzeit zusammenfließt und in zeitdeckendes Erzählen übergeht.«
Didaktik der Dialogizität nennt sich ein Artikel von Björn Hayer über Rainer Maria Rilke, und die Zwischenüberschrift »Die Aura des artefaktischen Körpers – poetisierte Wirkungsästhetik«ist auch nicht übel, besser als manches von Rilke.
Drei Artikel haben mich richtig begeistern können.
Da wäre Heal the World von Agnes Bidmon, die das jüdische Konzept Tikkun Olam im zeitgenössischen Denken bespricht. Dieses »Ausbessern der Welt« war früher Gott vorbehalten, die Kabbala sprach dem Menschen dann einen Einfluss zu, der in der Moderne überhand nahm , bis es nur noch um »eine historische Perfektionierung der materiellen Welt durch den Menschen« ging. Benjamin und Adorno führten einen Messias außerhalb der Geschichte ein, der im Sinn einer »Chiffre der Transzendenz« wirkt. Erlösung, das interessiert mich.
Eva Edelmann-Ohler widmet sich in ihrem Beitrag Vom Terror des Glaubens dem kulturellen Erzählen im New Atheism, und besonders instruktiv ist Weltliteratur und Weltreligion von Yael Almog und Caroline Sauter. Da wird Emily Apter und ihr Buch Against World Literature erwähnt (2013). Die Autorin schlägt »eine ›Politik der Unübersetzbarkeit‹ vor , die in der Literatur verschiedene Instanzen des Widerstands gegen interkulturelle Übertragung erkennt«. Mal was Provozierendes.
Nach 1800 nehmen die Begriffe Weltreligion und Weltliteratur allmählich Gestalt an, um in Goethes Werk systematisch zusammengeführt zu werden. »Die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit«, sagte Goethe 1827 so nebenbei Eckermann. Allerdings habe der Rahmen für die beiden Begriffe den jüdisch-christlichen Westen als Zentrum, wird kritisiert, und es sei an der Zeit, meinen die Autorinnen, »die akademische Einstellung zur Schilderung von ›Welt‹ zu hinterfragen«.
Früher besprochene Hefte der Kritischen Ausgabe:
# 23 Geld
# 24 Architektur
# 25 Jetzt
# 26 Ende
# 27 Arbeit
# 27