Fragen der Toten

Die Überschrift musste so lauten, nachdem manipogo zwei Beiträge mit Fragen an die Toten hatte. Hier nun fragen und appellieren die Toten selber. Manch ein Mordopfer erscheint dem italienischen TV-Kommissar Luigi Ricciardi und verlangt anscheinend Gerechtigkeit und Sühne. Die zweite  Staffel der Serie Commissario Ricciardi läuft seit zwei Wochen auf Raiuno.

th222ricciUnd sie startete mit einem gewaltigen Erfolg. Die Rai hatte ja ausgiebig die Werbetrommel gerührt und häufig den gutaussehenden Schauspieler auftreten lassen, der den Luigi Ricciardi verkörpert: Lino Guanciale, den neuen Schwarm aller Frauen. Er muss allerdings einen melancholischen Einzelgänger spielen, der meist verdrossen durch die Gassen Neapels streicht, die Hände in die Manteltaschen gesteckt. Er muss mit den Mordopfern leben, die als Geister vor ihm auftauchen und gestikulieren oder etwas Unartikuliertes von sich geben — so lange, bis der Täter oder die Täterin gefunden ist. Das macht Ricciardi zu schaffen.

Das Jahr ist 1933, überall Bilder des Duce und Polizisten mit schwarzer Uniform, doch das Innere der Abteilung ist uns altvertraut: ein arroganter, dummer Chef; ein gutmütiger, zuverlässiger engster Mitarbeiter, der Brigadiere Rafaele Maione (Antonio Milo); ein sympathischer Pathologe, mit dem Ricciardi sehr vertraut ist (Bruno Modo, gespielt von Enrico Ianniello). Der Commissario verrät nicht viel von sich und weicht geschickt den Damen aus, die ihm nachstellen; nur seine junge Nachbarin beobachtet er bisweilen durchs Fenster, ohne sich ihr zu nähern. Frauen sind um den Commissario.

thlino»Wie bei Montalbano!« entfuhr es Giovanna. Das sei wohl der Wunschtraum der Schriftsteller. Ich gab zu bedenken, wenn es deren Wunschtraum sei, warum ließen sie ihre Helden dann nicht Liebesglück erleben? Warum geht es immer schief, warum ergreift der Commissario immer die Flucht? Diese Frage muss ich mir natürlich selber stellen … Schriftsteller sind schöpferisch und vertiefen sich in ihr Werk, wie sich der Commissario in den Fall eingräbt, aber bei aller Fantasie sind sie doch Kopfmenschen. Zu echter Liebe und Hingabe gehört grenzenloser Mut und auch eine Portion Leichtfertigkeit, denn man weiß nicht, was geschehen wird, ob man sich nicht vollends verliert … Doch in Ricciardis Staffel 2 soll es viel um Liebe gehen, hört man, der Commissario gehe aus sich heraus. (Mal schauen, Giovanna nimmt mir die nächsten Folgen auf.)

In der ersten Folge wurde ein blinder Mann ermordet, der selber Kontakt mit Toten hatte und der in der Lage war, die richtigen Zahlen im neapolitanischen Zahlenlotto vorherzusagen. Da liegt er also, erstochen; und bald erscheint sein Geist vor Ricciardi und murmelt die Zahlen diciannove (19), ventuno (21), nove (9).Er will also sagen, warum er sterben musste; das ist uns bei den ersten Fragen an die Toten schon einmal begegnet. Die Clever-fellows Australiens befragen die Toten, die dann durch untrügliche Zeichen die Ermittler zum Täter führen. Das gab es schon lange vor Ricciardi.

Ein gewaltsamer Tod traumatisiert das Opfer, das diese schlimme Erfahrung ins Jenseits mitnimmt. Gerechtigkeit oder Rache will es nicht unbedingt, denn was hilft es? Immer sei es das Opfer, schreibt Sylvan J. Muldoon, das oft dort spukt, wo es getötet wurde, weil es den »Schreck im Gemüt« nicht loswerde; der Mörder nicht, er zahlt später.

Irgendwann in einer Gasse spricht eine Frau die Zahlen 19, 21 und 9 aus und sagt etwas dazu, Luigi Ricciardi hat eine Erleuchtung und löst den Fall — und überraschend ist das, logisch zwar, doch bestürzend auch. Es gibt also im konventionellen Fernsehkrimi das auch noch: Hingabe an den Fall. Die Geschichte wurde durchgespielt bis zur letzten Konsequenz, und dennoch wurden Mitgefühl und Verständnis gezeigt. Mit Liebe hat alles zu tun, was wir tun.

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Zwischendurch, beim Schreiben, schaute ich den Newsletter von Victor Zammit durch, der neu eingetroffen war. Er bot mal wieder den Fall Giuseppe Riccardi auf — und wir sind damit vertraut: Ähnliche Namen ziehen einander an. Unseren Kommissar Ricciardi spricht man wegen des i’s freilich »Ritschardi« aus; der andere ist Riccardi: also »Rikkardi« ausgesprochen. Die Geschichte hatten wir schon vor einem Jahr, unter dem Titel Späte Klärung.

 

 

Riccardi

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