Kitsch oder nicht Kitsch?

Die drei Beiträge aus meinem Urlaub, die ich für futura99phoenix schrieb, will Rolf Hannes nicht haben. Er hat nichts für Marienfrömmigkeit übrig, hat zuviel Katholizismus erlebt, und das kann man verstehen. Die Marienstatuen, die ich abfotografierte, nannte er »Kitsch«. Darüber kann man nachdenken.

Die drei Artikel stelle ich dann an Weihnachten auf manipogo ein, so sind sie nicht verloren. Die beiden Holzstatuen standen in der Marien-Auferstehungs-Kirche von Chianni, und solches sieht man eben in italienischen Kirchen. Ist das Kitsch? Sehen wir uns die beiden inkriminierten Statuen an. Ja, die Gesichter sind irgendwie süßlich: die fromme Maria, die sündenlos einherschreitet und alle segnet.

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Theodor W. Adorno schreibt in seiner Ästhetischen Theorie:

Während Kitsch koboldhaft jeder Definition, auch der geschichtlichen, entschlüpft, ist eines seiner hartnäckigen Charakteristika die Fiktion und damit Neutralisierung nicht vorhandener Gefühle.

 

Es wird schamlos übertrieben; mit dem Holzhammer sollen Gefühle erzeugt werden, auch durch die Wahl eines Motivs: das Katzenbaby mit den großen Augen; der putzige dralle Engel; der Sonnenuntergang mit Palmen. Das ist die Fiktion nicht vorhandener Gefühle durch hohe Konzentration. Kitsch ist ein Zuviel. Weiter Adorno:

Kitsch parodiert die Katharsis. Dieselbe Fiktion aber macht auch Kunst von Anspruch, und sie war ihr wesentlich: Dokumentation real vorhandener Gefühle, das Wieder-von-sich-Geben psychischen Rohstoffs ist ihr fremd.

Kunst hat eben einen Anspruch. Sie will die Welt besser machen. Kitsch als Giftstoff sei ihre immer beigemischt, warnt Adorno, der dann schreibt:

Vulgär ward Kunst durch Herablassung: wo sie, zumal durch Humor, ans deformierte Bewusstsein appelliert und es bestätigt. Der Herrschaft passte es ins Konzept, wenn das, was sie aus den Massen gemacht hat und wozu es die Massen drillt, aufs Schuldkonto der Massen verbucht würde. Kunst achtet die Massen, indem sie ihnen gegenübertritt als dem, was sie sein könnten, anstatt ihnen in ihrer entwürdigten Gestalt sich anzupassen.  

So ungefähr – wie in dem letzten Satz – sprach sich Rolf Hannes auch aus. Nichts dagegen zu sagen. Die katholische Kirche wäre ja diese Herrschaft, die ihre Untertanen gern lenkte und sie gern duldsam sah. Vielleicht, so meine ich, sollte man das Motiv bedenken, aus dem heraus die Statuen entstanden.

madonna1.madonna2Womöglich hatte der Schöpfer ja eine Vorgabe des Ortspriesters und ein Bild der sanften Maria im Kopf. Echter Kitsch entsteht aus Gedankenlosigkeit und Böswilligkeit. Die Marienfrömmigkeit war ja eine Bewegung von unten. Die Kirche hat sie nicht gewollt und billigte sie schließlich. Und wenn auch die Statuen Ausdruck der Volksfrömmigkeit wären, Abbildungen einer heiligen Frau, die uns beschirmt und an deren Antlitz wir uns ergötzen?

All das wissen wir nicht. Wir könnten die Gesichter jedoch auch als naives Abbild von Verehrung bewerten, dann wäre deren Abqualifzierung mit Kitsch wiederum Verachtung der Liebe des Volkes zu Maria. Wir können die Frage Kitsch oder nicht Kitsch heute nicht entscheiden, sollten uns aber von jeglicher Arroganz freimachen.

 

Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt: suhrkamp tb 2003, S. 355/356

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