Petra und Fermín
Petra Delicado und Fermín Garzón, das Krimi-Ermittlerpaar von Alicia Giménez Bartlett, müssen uns an Lena Odenthal und Mario Kopper erinnern. Ich las von der katalanischen Autorin Tote aus Papier (in meiner italienischen Ausgabe heißt das Morti di carta, im Original Muertos de papel), und ich konnte nicht ruhen, bis ich das Buch ausgelesen hatte. Spannend war es geschrieben, überlegt und geistreich.
Mit Odenthal/Kopper sind in 30 Jahren 66 Tatort-Filme entstanden (bis Kopper ausgebootet wurde). Frau Giménez Bartlett fing 1996 an und schrieb dann in 20 Jahren 10 Romane mit ihren beiden Protagonisten. Inspektorin Delicado aus Barcelona ist 1999, zur Zeit der Toten aus Papier, Mitte vierzig. Beide Polizisten sind geschieden und leben alleine. In dem Roman kommen fast nur geschiedene, in Trennung befindliche und aus Überzeugung allein lebende Menschen vor. Es ist ein Großstadtroman. Das Alleinsein und der Arbeitsstress spielen eine große Rolle. Irgendwie ist das Buch eine Momentaufnahme aus einer großen europäischen Stadt am Ende des zweiten Jahrtausends: So war das damals. (Doch das Buch könnte auch im Jahr 2019 spielen, es ist zeitlos.) Mein Buch war aus der 29. Auflage, es dürfte sich zweihunderttausend Mal verkauft haben.
Eine sehr verwickelte Geschichte ist es, die mit dem Mord an einem zynischen Yellow-Press-Journalisten beginnt, der zu weiteren Morden führt. Der verwickelte Aufbau der Story ist total stimmig, Plot und Timing perfekt, und das ist die Voraussetzung für einen guten Krimi. Man liest auch gern über Politik und Showbusiness, über Models, Ballerinen und Toreros, Affären und dunkle Geldgeschäfte. Der zynische Journalist hatte ein Konto in der Schweiz und erpresste womöglich hohe Tiere.
Das Duo arbeitet seit Jahren zusammen und wirkt wie ein altes Ehepaar, das sich in spritzigen, fetzigen und pointengesättigten Dialogen duelliert, die einen oft auflachen lassen. Beide leben für ihre Arbeit und verkörpern, jeder für sich, das Bild des wahren Polizisten und der wahren Polizistin, der/die in seinem/ihren Fall aufgeht und für ihn alles andere aufgibt, der Mystiker, Märtyrer und Mathematiker in einem ist. Petra schaut sich immer mal wieder im Spiegel an und findet, sie sieht furchtbar aus. Spiegel überall in dieser narzisstischen Gesellschaft.
Bestandteile des Romans: viele hektische Ortswechsel (Flüge zwischen Barcelona und Madrid), ein gestrenger Vorgesetzter, die Komplizenschaft mit den anderen im Team, sehenswerte Wohnungen, außergewöhnliche Menschen, Nächte in Bars, überraschende Wendungen, Rückschläge und die rettende Intuition. Das alles ist meisterhaft durchkonstruiert, auch wenn man nicht mehr genau hinschaut, sobald man sich für ein Buch und seine Handlung begeistert hat. Die 350 Seiten sind nicht zuviel. Vor allem überzeugen die Dialoge. In Krimis wird ja viel geredet, doch hier stört es nicht. Petra Delicado setzt sich auch für die Frauen ein und vertritt ihren Standpunkt. Sie ist unbequem, kann sich aber unterordnen.
Natürlich erreicht die Autorin nicht das Niveau von Ruth Rendell oder Patricia Highsmith, doch man muss Frau Giménez Bartlett neben Manuel Vázquez Montalbán (1939-2003) nennen, der mit seinem Pepe Carvalho den Ur-Detektiv in Barcelona erschuf: 23 Romane in 30 Jahren (von 1972 bis 2001). Nehmen wir die zehn von seiner Kollegin hinzu, hätte man Bücher für ein paar Jahre, wenn man sich nach Barcelona zurückzöge und sich in dessen Geschichte und Alltag einspüren wollte.
Ilustrationen: Barcelona zwischen 1890 und 1906, Agentur Photoglob. Dank an Library of Congress, Washington D. C.
Beiträge über Lena Odenthal:
Der Fall Lena Odenthal
Arme Lena
Unsere kleine Stadt
Kopper