Der Sturm

Die Zeit nannte Donald Trump Anfang April »Prinz Prospero« — und spielte damit auf Edgar Allen Poes Erzählung Die Maske des Roten Todes an. Prospero zieht sich mit Hunderten Feiernden im pestverdorbenen Venedig in eine alte Abteil zurück und lässt die Epidemie draußen; doch der Rote Tod findet seinen Weg … Die Geschichte, von manipogo längst verarbeitet, erschien 1842; doch schon 1611 wurde The Tempest von William Shakespeare aufgeführt, in dem ebenfalls ein Prospero die Hauptrolle spielt …

03317rShakespeares Prospero war einst Herzog von Mailand, wurde jedoch von seinem Bruder Antonio überlistet und entmachtet, der ihn auf einem Schiff fortschickte. Das war vor zwölf Jahren. Seither lebt Prospero mit seiner Tochter Miranda auf einer einsamen Insel und hat sich in der Magie kundig gemacht. Als Helfer hat er den bösen tierähnlichen Caliban sowie den guten Luftgeist Ariel zur Seite. Prospero ist ein mächtiger Zauberer und will sich sein Recht zurückholen: Er entfesselt einen Sturm, der das Schiff mit dem verräterischen Bruder Antonio, dem willfährigen König von Neapel Alonso, dessen Sohn Ferdinand, dem treuen Ratgeber Gonzago und noch ein paar Schurken in Seenot bringt. Wundersamerweise kommt niemand zu Schaden. Alle landen auf der Insel.

06559rThe Tempest (Der Sturm) war das letzte Stück, das Shakespeare (1610) allein schrieb, und es ist mit A Winter’s Tale verwandt, in dem auch Magie auftaucht (am Ende, als Hermione aufersteht). Prospero hat sich alles gut überlegt. Ferdinand soll sich in Miranda verlieben, um sie zu ehelichen, und Antonio soll gedemütigt werden. Ariel kann gerade noch verhindern, dass Alonso erstochen wird (so wäre dessen Bruder Sebastian, wieder ein böser Bruder, ihm auf den Thron gefolgt). Antonio, Alonso und Sebastian bekommen ihr schändliches Tun aufgezeigt und fliehen, nachdem Prospero ihnen verziehen hat. Am Ende reist Prospero zur Eheschließung nach Neapel und vielleicht weiter nach Mailand.

Er trifft Miranda und Ferdinand vorher beim Schachspiel an, und anhand dieses Beispiels kann man die Problematik des Texts erkennen, der 400 Jahre alt ist und so kunstvoll geschrieben, dass man über fast jede Zeile nachdenken muss. Man braucht Hintergrundmaterial dazu.

Mir.: Sweet lord, you play me false.
Ferd.: No, my dearest love,
I would not for the world.
Mir.: Yes, for a score of kingdoms you should wrangle,
And I would call it fair play.

Fünf Zeilen. Miranda wirft ihm vor, er spiele falsch; Ferdinand beteuert, nicht um alles in der Welt würde er das tun. Mirandas Antwort ist schwierig. To wrangle bedeutet sich zanken, streiten. Ihre Antwort könnte man so deuten: Um alles in der Welt würdest du vielleicht nicht tricksen, aber für weniger doch, für ein paar Königreiche? Und ich würde es dennoch fair play nennen. (Weil sie ihn liebt.)

Großartig ist Ariel, der Helfer des Zauberers. Nach anfänglichem Protest tut er, was er kann, da ihm die Freiheit versprochen wurde. Er hat die Verräter an ihre Taten erinnert, und sie sind zerknirscht, was Ariel Prospero schildert. Er würde sie jetzt in milderem Licht sehen.

Ariel: Vour charm so strongly works ‚em,
That if you now beheld them, your affection
Would become tender.
Pros.: Dost thou think so, spirit?
Ar.: Mine would, sir, were I human.
Pros.: And mine shall.

Als wäre Ariel ein Außerirdischer (der er ist), gibt er an, er hätte Mitleid mit den Bösen, wenn er ein Mensch wäre. Und Prospero gibt ihm Recht. Caliban darf seiner Wege gehn, der ungestüme Naturbursche, und auch Ariel kommt frei (Geister, über die man gebietet, sind gebannt und können sich nicht frei bewegen). Und dann der zauberhafte Epilog: Auch Prospero will frei sein. Er bittet, bevor der Vorhang fällt, sein Publikum darum, ihm die Freiheit zu schenken. Der Atem des Publikums soll seine Segel blähen, seine Gebete ihm helfen, und so wie es für eigene Verbrechen Verzeihung erhoffe, so ersehne er, Prospero, sich Freiheit durch dessen Nachsicht und Milde.

Now my charms are all o’erthrown,
And what strength I have’s mine own,
Which is most faint: now, ‚tis true,
I must be here confined by you,
Or sent to Naples. Let me not,
Since I have my dukedom got
And pardon’d the deceiver, dwell
In this bare island by your spell;
But release me from my bands
With the help of your good hands:
Gentle breath of yours my sails
Must fill, or else my project fails,
26414rWhich was to please. Now I want
Spirits to enforce, art to enchant,
And my ending is despair,
Unless I be relieved by prayer,
Which pierces so that it assaults
Mercy itself and frees all faults.
As you from crimes would pardon’d be,
Let your indulgence set me free.

 

Illustrationen: Oben ein Bild von George Romney (1734-1802), veröffentlicht 1797 von Boydell; Mitte: eine Lithograhie von Currier & Ives, 1871. Unten ein Bild von Will Crawford (1869-1944) über die Amerika-Expedition von Henry Hudson, der 1611 starb. Alles courtesy of Library of Congress, Washington D. C.

 

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