Gartenschau
Noch bis 3. Oktober lässt sich in Neuenburg am Rhein die Gartenschau des Bundeslandes Baden-Württemberg besuchen. Mir fiel dazu nichts ein — hätte ich nicht durch Scott Drummond erfahren, dass Blumen, Bäume und Gärten in der Anderen Welt regelrecht Liebe abstrahlen; und hätte ich nicht die Erzählung Der schwarze Mönch von Anton Tschechow gelesen. Das gibt eine schöne Komposition!
In der Erzählung Tschechows geht es eigentlich um den Magister Andrej Kovrin, den in sich gekehrten Gelehrten, der nervös ist und zur Erholung Egon Semjonytsch und dessen Tochter Tanja auf deren Landgut besucht. Der dortige Obstgarten ist berühmt, und der Verwalter heimst für ihn andauernd Medaillen ein. Er gilt als einer der besten Gartenbauer Russlands. Kovrin ist glücklich, auch als ihm der schwarze Mönch über den Weg läuft, ein Gespenst aus der Literatur, und zu ihm spricht. Und am glücklichsten ist er über die junge, zärtliche Tanja. Doch ihr Vater hat Sorgen und breitet sie vor Kovrin aus:
Ich will fragen: Was wird mit dem Garten, wenn ich sterbe? In dem Zustand, wie du ihn jetzt siehst, wird er sich ohne mich keinen einzigen Monat halten. Das ganze Geheimnis des Erfolges liegt nicht darin, dass der Garten groß ist und dass ich viele Arbeiter habe, sondern darin, dass ich diese Arbeit liebe — verstehst du —, ich liebe sie vielleicht mehr als mich selbst. Sieh mich an: Ich mache alles selber. … Wenn man mir dabei hilft, werde ich eifersüchtig und gereizt bis zur Grobheit. Das ganze Geheimnis besteht in der Liebe, das heißt in dem scharfen Auge des Herrn und auch in dem Gefühl, das einen überkommt, wenn man gelegentlich für ein Stündlein irgendwohin zu Besuch fährt, du sitzt da, und das Herz lässt dir keine Ruhe: du hast Angst, es könnte im Garten etwas passiert sein. Und wenn ich sterbe, wer wird nachschauen? … Ich will dir das eine sagen, mein lieber Freund: Der grösste Feind bei unserem Geschäft ist nicht der Hase, nicht der Maikäfer und nicht der Frost, sondern es sind die fremden Menschen.
So sprach Semjonytsch. Er sprach viel von Liebe, und wo er sie im Mund führt, hören wir immer nur: Eigenliebe. Er nur weiß, wie man alles richtig macht, der Garten ist seine Schöpfung und soll sein Monument sein. Liebe richtet sich wohl auf andere Menschen, doch der Gartenbauer erklärt die Menschen geradezu zu seinen Feinden. Liebe richtet nicht anderes zu, sondern lässt anderes Leben stehen — doch der Gartenbesitzer plant und dressiert und schneidet zurecht, er liebt nicht einmal die Pflanzen und das, was wächst, sondern nur sich und seine Großartigkeit.
Und diese ganze Haltung — Kontroll- und Gestaltungswahn gepaart mit einer selbstherrlichen Attitüde — greift folgerichtig auf alles über und zerstört auch alles. Magister Kovrin, mittlerweile verheiratet mit der reizenden Tanja, hat viele Unterhaltungen mit dem geisterhaften Mönch, der ihm klarmacht, dass er ein Genie ist.
Euch Menschen erwartet eine große Zukunft. Und je mehr es solche wie dich auf der Erde gibt, um so schneller wird sich diese Zukunft verwirklichen …. »Und was ist der Sinn des ewigen Lebens?« fragte Kovrin. — »Wie jeden Lebens — der Genuss. Der wahre Genuss besteht in der Erkenntnis, und das ewige Leben bietet zahllose und unerschöpfliche Quellen der Erkenntnis, und darum ist gesagt: In meines Vaters Haus gibt es viele Wohnungen.
Kovrin ist berauscht und glücklich, muss sich aber auch sagen, dass er (vermutlich) mit einer Wahnvorstellung spricht. Tanja hält ihn für psychisch krank, und ihr Vater handelt (natürlich): Andrej Kovrin muss zum Arzt, wird durch Brom beruhigt und willenlos gemacht, und man schneidet ihm die langen Haare ab. Kovrin ist nicht mehr er selbst, er treibt dahin, es ist alles lächerlich geworden, er trennt sich von Tanja, heiratet woanders nochmals, bekommt einen Lehrstuhl, danch einen Blutsturz, und bald stirbt er. Tschechow kannte selber die Irrenanstalten und wusste, wie Menschen, die nicht ins Schema passen, zerbrochen werden.
Was uns zum Garten zurückbringt. Immer steckt eine Philosophie dahinter. Der Garten ist natürlich eine menschliche Schöpfung, und der westliche Mensch von heute, der den Vorplatz seines Hauses zupflastert und kleine Unkräutlein in den Ritzen der Steine wegflämmt, kann sich einen Garten nicht anders vorstellen als einen Hort gestalteter und verwalteter Ordnung. Exakte Wege, klare Linien, und Wachstum immer geregelt und eingedämmt. Doch Liebe heißt auch, den anderen (die andere) nicht nach seinem Bild zu gestalten, ihn/sie wachsen zu lassen, ihn/sie in seiner/ihrer Eigenart zu belassen und zu achten.
Andere Beiträge zu Tschechow:
… nun fahren sie auch noch Veloziped! — Krankensaal sechs — mega culpa: Krankensaal sechs hatte ich 2014 schon mal behandelt; bei 2500 Artikeln verliert man schon mal die Orientierung! — Gelächter für die Möwe — Drei Schwestern — Der Mond schaut zu