Blanche Peyron
Palast der Frau heißt ein Monstergebäude mit 743 Zimmern in Paris, das 1926 eingeweiht wurde, um obdachlose und in Not geratene Frauen aufzunehmen. Blanche Peyron und ihr Mann Albin hatten mit ungeheurem Einsatz die Millionen für den Kauf des Hauses zusammenbekommen, und wir wollen wissen, wer diese Blanche war, die in unermüdlichem Einsatz für die Heilsarmee wirkte.
Wer sie war, sagt uns der Roman Les Victorieuses (deutsch: Das Haus der Frauen) von Laetitia Colombani, vor 3 Jahren erschienen. Im Paris von »heute« (2019) versucht die ehemals erfolgreiche Anwältin Solène nach einem Zusammenbruch wieder auf die Beine zu kommen. Ein Psychologe rät ihr zum Einsatz für andere Menschen, und Solène übernimmt eine Aufgabe als Briefeschreiberin im Palast der Frau. Mehrere Male will sie aufgeben, doch es hilft nichts, man wird angesaugt und macht weiter, wenn man ein Herz hat, denn viele im Palast brauchen Hilfe und ein offenes Ohr.
Renée war 15 Jahre obdachlos und wurde 54 Mal vergewaltigt. Sie sagt: »Wenn du hinuntergehst in die Metroschächte, bist du verloren; du kommst nie wieder.« Schlafen dürfe man auch nicht, sonst sei man auch verloren. Immer unterwegs sein, zu Fuß und zur Nacht, durch die Stadt Paris. Eine Afrikanerin hat ihren Sohn im Senegal zurücklassen müssen, Cynthia ist dauernd wütend und schreit, und es gibt Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien, denn viele Frauen aus dem Afrika südlich der Sahara leben dort.
2014 hatte ich einmal im Beitrag Allein gelassen über ein Flüchtlingsheim mit 1000 Bewohnern in Rom berichtet, das ein Fernsehkanal vorgestellt hatte. Die Frauen in Laetitia Colombanis Roman sind gewiss authentisch, und das Verdienst des Buches ist es, über die Schatten in der Männer-Gesellschaft zu sprechen: über Frauen etwa, die von ihren Männern verprügelt werden, über die Verstümmelung von Frauen in Zentralafrika, wovon Millionen betroffen sind, und die Gleichgültigkeit, die Frauen (und Männern) aus anderen Kulturen entgegengebracht wird. Sie werden untergebracht und halbwegs versorgt, sollen aber nicht weiter auffallen und müssen den realen Rand der Gesellschaft besiedeln wie die Alten und die psychisch Kranken.
Hineingeflochten in die Geschichte von Solène und dem Palast der Frau ist der Werdegang von Blanche Peyron, die 1867 in Paris zur Welt kommt und in Schottland die Tochter von William Booth kennenlernt (1829-1912), der die Heilsamee gegründet hat. Blanche ist Feuer und Flamme. Mit ihrem Ehemann stoßen sie auf das Haus, das der Palast werden wird, und unter unsäglichen Mühen und mit großer Willenskraft (und viel Gottvertrauen) gelingt ihnen der Coup. Blanche Peyron gibt alles, und ihre Gesundheit leidet darunter. 1933 stirbt sie.
Als sie Albin kennenlernte, wollte sie schon davongehen, als dieser sein Hochrad bestieg.
Fasziniert hält sie inne. Sie hat schon viel von diesen Geräten gehört. Sie läuft Albin hinterher.
»Warten Sie!«
Er wirkt überrascht. Blanche kommt näher, um das Gefährt näher zu betrachten, und bestürmt ihn mit Fragen. … Blanche will es lernen.
Nach vielen Stürzen ist sie obenauf. Vier Seiten hat Frau Colombani der Hochrad-Episode gewidmet, denn sie verstand, dass das Fahrzeug zu einem Instrument der Frauen-Emanzipation wurde.
Ein völlig neues Gefühl durchströmt sie auf diesem Rad: ein Gefühl von grenzenloser Freiheit. Sie ist die Herrin über ihre Bewegung, ihr Tempo, ihre Richtung. Genauso selbstbestimmt möchte sie ihr Leben führen — ohne Fesseln, mit Wind in den Haaren. Von hier oben hat sie einen anderen Blick auf die Welt. In dieser verlassenen Straße, an der Seite dieses Mannes, den sie eben erst kennengelernt hat, erscheint sie ihr schöner als sonst.
So wird das Rad zum Sinnbild ihres Freiheitsdrangs und ihrer Willenskraft, und als Albin sie sieht und der Gedanke ihn durchzuckt, sie möge die Seine werden, wird das Hochrad auch zum Symbol für ihre Verbindung: Sie drehen am selben Rad, und sie werden es schaffen.
Ó Ó – Ô Ö
Kaum hatte ich in einem Beitrag (gestern) mich schriftlich darüber beklagt, dass die manipogo-Fahrradbeiträge immer weniger werden, wurde ich wieder mit Material beschenkt. An dem Roman der Colombani hatte mich der Einsatz für Frauen interessiert, und ich konnte nicht ahnen, dass ein Hochrad sich zwischen den Seiten versteckte.
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Illustrationen: oben rechts ein Hotel in Spanien, das nichts mit dem Palast zu tun hat, von dem ich nicht einmal weiß, wie er ausschaut; dann ein Szenenbild aus dem Film Timbuktu von Abderrahmane Sissako; dann Blanche Peyron und ein Hochrad.