Parallelen
Ein guter Film kam im August im Freiluftkino am Zürichhorn: Madres parallelas von Pedro Almodóvar. Vor ein paar Jahren hatten wir dort The Mule von Clint Eastwood gesehen; warum habe ich nicht darüber geschrieben? Das gegenüberliegende Ufer glitzert mit all seinen nächtlichen Lichtern, und dann erhebt sich hydraulisch die bläulich schillernde Leinwand; ein bißchen Werbung, und — es geht los! Es lebe das Kino!
Almodóvar ist 1949 geboren und immer noch ein großer Meister. Leid und Herrlichkeit, sein vorletzter Film, schwächelte etwas, doch die parallelen Mütter sind wieder frisch und spannend. Da der Film ganz neu ist, will ich nicht viel von der Handlung verraten, doch worüber kann man dann sprechen?
Zu Beginn will Janis (Penélope Cruz), dass der Pathologe Arturo ein Grab mit einem Dutzend Körpern aushebt, in dem Vorfahren von ihr liegen — das muss wohl im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) geschehen sein. Auch der spanische Krimi Isola mínima, der jüngst besprochen wurde, hatte Vergangenheitsbewältigung auf dem Programm, und Almodóvar bringt im Abspann sogar ein Zitat, in dem es heißt, die Geschichte melde sich immer zu Wort und lasse sich nicht zum Schweigen bringen.
Arturo wird zum Vater eines Kindes. Janis bringt es zur Welt, und die junge Ana im Bett neben ihr hat auch ein Kind: Das sind die parallelen Mütter. Nach dem Krankenhaus kommen sie wieder zusammen, schicksalhaft irgendwie. Anas Mutter ist Schauspielerin, Rossy de Palma (eine Favoritin Almodóvars) spielt als Chefredakteurin einer Zeitschrift mit und ist Janis‘ Chefin, Arturo tritt immer wieder auf, die Lebensläufe laufen nebeneinander her und verschränken sich manchmal.
Und dann gibt es als Parallel-Phänomen zu der Mütter-und-Kind-Geschichte das Massengrab, zu dem in der letzten Einstellung die Gruppe pilgert, und wir sehen die Toten im Grab, wie sie 85 Jahre vorher lagen. So wie die Lebenden zusammenkamen und sich austauschten, so fanden die Toten zufällig zusammen, und ihr Tod ist Geschichte, die trotzdem zu neuen Geschichten führte: alles ein Tanz, eine Symphonie, eine kosmische Komposition.
Die Gegenwart entschlüsselt die Vergangenheit, ohne die sie nicht wäre, und wir müssten wissen, woher wir kommen, belehrt Janis Ana; und das ist schon ein schönes Motto, mit der wir beruhigt den See hinter uns lassen können, um die Straßenbahn Nummer 11 zu besteigen, die uns hinfortträgt, durch Oerlikon zur dunklen Endhaltestelle. Am nächsten Tag trennten wir uns, und jeder — Giovanna, Franziska und ich — führte sein Leben fort, parallel und trotzdem im Bewusstsein, dass wir nicht alleine sind.