Dunkle Göttinnen
Ich wollte mir wieder das Buch »Eine Göttin für jeden Tag« von Luisa Francia vornehmen und dachte mir: Such doch die Toten- und Unterwelt-Göttinnen heraus! Das ist zwar nicht lustig, doch leugnen kann man nicht, dass an sie geglaubt wurde. Das sollte uns nicht daran hindern, bald die Liebes-Göttinnen vorzustellen, von denen es auch eine Reihe gibt. Das gestrige Thema aber will die Unterwelt.
Luisa Francia (1949 geboren) hat ihre Göttinnen beliebig auf die Tage des Jahres verteilt.
Als erstes fallen uns die Walküren auf, die Hüterinnen des Totenreichs der germanischen Mythologie. In einem Lied sind es dreizehn, die die gefallenen Helden ins Totenreich begleiten und sie dort bewirten. Da haben wir wieder zauberhaft fremdartige Namen: Hrist, Mist, Skeggjöld, Skögull, Hildr, Thrudt, Hjökk, Herfjötur, Göll, Geirölul, Randgridr, Radgridr und Reginleift.
Die keltische Totengöttin heißt Morrigan und lebt in Teichen, Seen oder in einem unterirdischen Palast im Meer. In Mexiko hütet Quitatzli Tod und Wiedergeburt: »Sterbende rufen sie sie an, aber auch Menschen, die sich mit dem Tod auseinandersetzen.« Listwoer und Bingwoer waren in Nordeuropa die beiden Wächterinnen der Unterweltsbrücke Gjällarbru, die zur Göttin Hel führt. Die beiden sind Dämoninnen, die Feuer und Schwefel spucken. Hel war die germanische Göttin des Todes und der Übergänge. Sie, die Mächtigste, entscheidet über Leben und Tod, ist halb schwarz und halb weiß und lebt im Verborgenen (helan). Modgodur bewacht den Hölleneingang. Von Hel wurde die Hölle abgeleitet (englisch hell).
Rhiannon war eine keltisch-walisische Gottheit und wurde als schöne Frau dargestellt, die über die Unterwelt gebietet. Sie reitet auf einem Pferd und wird von zwei Vögeln begleitet. Bei den Böhmen heißt die Todesgöttin Morana. Sie singt die Sterbenden mit betörenden Liedern in den ewigen Schlaf und macht sie zu singenden Vogelseelen. In Ägypten haben wir als Führerin durch die Unterwelt Mafdet, auch Göttin der Magie. Wila ist die »slawische Göttin der Unterwelt, der Nacht, der Dunkelheit. Sie herrscht über die Träume und Alpträume der Menschen« und schickt auch bedrohliche Phantasien und Ängste.
Die Lethe liegt in Form eines Flusses zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten. Wer geboren wird, trinkt aus dem Fluss und vergisst alles, was er aus der jenseitigen Welt kennt. Bei den Samen heißt die Todesgöttin Jahme-Akho. Maman Brigitte beschützt auf Haiti die Friedhöfe und ist »Hebamme in den Tod«.
Da haben wir wieder die Analogie von Geburt und Tod, die schon frühen Kulturen aufgefallen ist. Im Hospiz und bei der ehrenamtlichen Trauer- und Sterbebegleitung arbeiten mehrheitlich Frauen, und das muss man nicht erklären. Darum gibt es viele Totengöttinnen, die geleiten und empfangen, während der »Abholer« meist männlich ist, wie wir gestern sahen.
Als furchterregend wird die Wahini Hai Polynesiens beschrieben, die Königin der Unterwelt, die über Zeit und Raum gebietet. Neben ihr gibt es noch Mahui Iki, die den Menschen das Feuer brachte und die Wurzeln der Pflanzen gut kennt.
Weiß gekleidet ist Giltine, die Todesgöttin Litauens, die Todkranke sticht und sie danach mitnimmt in ihr Reich. Mafdet geleitet in Ägypten die Toten, doch die echte Todesgöttin heißt Nephtys, die in einem Grab lebt, deren Name aber auch mit Sieg zu tun hat. In Polen nannte man die Totengöttin Trizna, und neben die Asche der Verstorbenen legte man kleine Kuchen, damit sie etwas zu essen hatte.
Lilith kennen wir, sie herrscht mit Samael über die Unterwelt, und manipogo hatte einmal einen Beitrag nach einer Erzählung von Primo Levi, die Lilit hieß. Ein wichtiger Name ist Ereschkigal, bei den Sumerern eine schwarzhaarige Göttin, die in einem Palast aus Lapislazuli lebt und die Toten zu sich holt. Im Gilgamesch-Epos steigt der Held hinab, um seinen gestorbenen Freund Enkidu zurückzuholen — die erste Erzählung einer Jenseitsreise, der viele andere folgen sollten. Orpheus besucht den Hades, Odysseus tut es, der Ire Bran fährt dorthin, die ersten literarischen Testpiloten der Menschheit. Die manipogo-Serie begann erst Anfang September 2021.