Alles zu verkaufen

Auf meinem Weg durch das Gesamtwerk des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda stieß ich auf den Film Alles zu verkaufen (1969), schaute ihm mir auf Youtube an (zum Glück gab’s englische Untertitel), und ich hatte Lust, darüber zu schreiben, weil es ein unkonventioneller Film ist, ein Film über einen geplanten Film und ein Film über einen Schauspieler, der nie darin auftritt, weil er gestorben war: ihm gewidmet. 

Den Film hat Andrzej Wajda für Zbigniew Cybulski gedreht, mit dem er nach ein paar Jahren mal wieder arbeiten wollte; doch dann verunglüückte Cybulski am 8. Januar 1967 im Bahnhof von Breslau tödlich. Der Schauspieler hatte in Wajdas Asche und Diamant geglänzt, trug immer eine dunkle Sonnenbrille, galt als der »James Dean Polens« und wurde nur 39 Jahre alt.

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Wie macht man einen Film über einen toten Schauspieler? Man improvisiert. Wajda stellte ins Zentrum den Regisseur Andrzej (sein eigener Vorname, gespielt von Andrzej Lapicki, 1942-2012), der zu Beginn auf einen fahrenden Zug aufspringen will (wie Cybulski), strauchelt und unter den Zug stürzt, aber dann wieder hervorklettert.

ZbigniewCybulski_min_250x333Die Kameras werden gestoppt; es ist die Szene eines Films, der gerade gedreht wird. Alle sind besorgt, weil der Hauptdarsteller seit 5 Tagen verschwunden ist. Seine Ehefrau Ela (Elzbieta Czyszewska) und die Frau des Regisseurs, Beata (Beata Tyszkiewicz; die Darsteller heißen wie sie selbst), fahren im Auto umher und befragen Leute, die den Schauspieler zuletzt gesehen haben — und hören im Radio, dass er bei einem tragischen Unglück umgekommen ist. »Wohin ist er gegangen?« fragte Beata. »Ins Unbekannte«, antwortet Ela.

Dann das Begräbnis. Der Regisseur weiß nicht, wie er weitermachen soll. Eine junge Journalistin fragt Andrzej, ob es ohne den Hauptdarsteller mglich ist, den Film zu drehen? Er sagt: »Schalten Sie den Rekorder ab!« Dann sagt er: »Ist unmöglich.« Aber er widerspricht sich selbst, denn er 625full-daniel-olbrychskisagt es in dem Film, den wir gerade sehen, und Daniel (der junge Daniel Olbrychski, der, 1945 geboren, mittlerweile in über 100 Filmen mitgewirkt hat), rennt über den Friedhof, ist empört und schimpft: »Der dumme Film. Immer nur der Film. Nein, damit will ich nichts zu tun haben, da mach ich nicht mit!« Doch er spielt schon in dem Film, in dem er nicht mitmachen will, es ist durch und durch paradox: Da sehen wir einen Film, der eigentlich nicht gemacht werden sollte, es ist eine fiktive Dokumentation und ein Film übers Filmemachen — und das Leben.

Beata bittet im Auto den Regisseur: »Komm zu mir zurück!« — »Wieso, ich bin doch bei dir.« — »Nein, bist du nicht. Du hast nur mit toten Dingen zu tun, toten Menschen, toten Stoffen, toten Filmen.« Alle Filme sind, wenn sie vorgestellt werden, in der Vergangenheit gedreht worden als großartige Fiktion, sie sind Dokumente der vergangenen Zeit wie die Fotografie auch. Alles ist glänzende Aufführung, Blendwerk mithin, und am nächsten kommt der Film dem Leben vielleicht, wenn er sich sträubt, ein Werk zu werden, wenn er improvisiert und alles laufen lässt im Vertrauen darauf, dass es schon irgendwie wird.

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Robert Bresson hat gern Laiendarsteller eingesetzt, er meinte, Kunst brauche die Überraschung, und am Tag vor dem Dreh wisse er noch nicht (sagte Bresson später, 1983), was er am nächsten Tag machen werde. Beim Drehen warte er auf den spontanen Einfall, an den er glaube wie an den Zufall. Er wolle Gegenwart, ansonsten langweile er sich. Schön soll alles werden, aber neu auch. Wüsste ein Maler genau, wie sein Bild ausfallen würde — warum dann noch malen? Tadeusz Kantor gehört auch zu den wagemutigen Künstlern, er, der Theatermann. Und Federico Fellini!

Sein Name! Er hat 1963 den Film 8 1/2 gedreht (Achteinhalb), über den jemand gesagt hat: „Achteinhalb ist der Film, der zeigt, wie Achteinhalb entsteht.“ Guido, der Regisseur, ist Fellinis Ebenbild (oder Alter ego), der wie Wajda ein Problem hatte: Mit seinem Film ging es nicht voran. Also machte er seine Schaffenskrise zum Thema dieses wie üblich turbulenten Films. Marcello Mastroianni spielt den ratlosen Regisseur Guido.

Wim Wenders hat auch immer wieder Filme übers Filmemachen gedreht und viel aus seinen Lieblingsfilmen zitiert. Der Stand der Dinge von 1981 zeigt auch eine Krise beim Drehen eines Films: Das Material ist ausgegangen, Geld fehlt, und das Team hängt an der portugiesischen Küste fest. Diese Leere und Langeweile habe ich heute noch im Kopf. Der Film handelt also davon, dass ein Film nicht gedreht werden kann; dafür entsteht ein anderer Film. Den Regisseur spielte Patrick Bauchau.

Genauer steht das im Beitrag unten (Die Kunst der Verwirrung), und wieder geht es um das Thema Kunst und Leben und gerichtet ist alles gegen eine leblose Kunst.

Meine Artikel dazu:

Die Kunst der VerwirrungAsche und Diamant Tadeusz Kantor — Fellinis Rimini.

 

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