Fremd in dieser Welt

Manchmal denke ich noch an die Mandäer, von denen ich viel gelesen habe. Sie lebten vor über 2000 Jahren im Land von Euphrat und Tigris, waren pessimistisch und als Gnostiker Konkurrenten des aufblühenden Christentums,. Die Mandäer fühlten sich fremd in dieser Welt. Ich sollte einmal aus ihren Werken zitieren.

Die Mandäer kannten keine weltliche Literatur. Eine böse Macht hatte die Erde erschaffen, auf der mehr Finsternis als Licht herrschte. Mein Roman Tod am Tiber ist gnostisch beeinflusst, könnte man sagen. Gegen die Gnostiker und die gleichfalls negativ eingestellten Manichäer (vom Propheten Mani) setzten sich die Christen durch, die die Welt als Aufgabe betrachteten und sie gestalten wollten. Der Ausdruck eines »fremden Lebens« sei damals neu gewesen, schreibt der Religionsphilosoph Hans Jonas (1903-1993) in seinem Buch Gnosis. Die Botschaft des fremden Gottes und fährt fort:

Das Fremde ist das Anderswoher-Stammende, nicht Hergehörige. … Seine Welt ist allerdings für das Fremde, sofern es dort verweilt, wie ein fremdes Land, fern der Heimat. Dann erleidet er das Schicksal des Fremdlings, der in einer gefahrvollen Situation einsam, schutzlos, nichtverstehend und unverstanden ist. Zum Los des Fremdlings gehört es, sich zu ängstigen und Heimweh zu empfinden. Der Fremde, der sich im fremden Land nicht auskennt, verirrt sich, er irrt darin umher; kennt er sich jedoch allzu gut aus, so vergisst er, dass er Fremdling ist, er verirrt sich in einem anderen Sinn, indem er dem Reiz der fremden Welt verfällt, in ihr heimisch wird und sich dadurch seinem Ursprung entfremdet. Dann ist er ein »Sohn des Hauses» geworden. Aus seiner Entfremdung ist die Not geschwunden, aber gerade darin gipfelt seine Tragödie als Fremder. Die Wiedererinnerung an die eigene Fremdheit, das Erkennen seines Exils als das, was es ist, ist dann der erste Schritt zurück, das erwachende Heimweh ist die beginnende Rückkehr.

Das Wort vom fremden Leben sei ein Urwort der Gnosis. In dieser Lehre klagen die Seelen darüber, dass sie in einen Körper gesteckt wurden. Das Heilsmotiv ist die

Geschichte des lichtverbannten Lichts, des lebensverdammten Lebens, das in die Welt verstrickt ist, die Geschichte seiner Entfremdung und seines Sich-Wiederfindens, seines »Weges« hinunter, durch die niedere Welt hindurch und wieder hinauf.

Hans Jonas schreibt auch schön poetisch über den Reiz des Fremdseins.

Diese Seinsüberlegenheit des Fremden, die es, wenn auch insgeheim, bereits in der Fremde auszeichnet, ergibt sich aus seiner manifesten Herrlichkeit in seinem außerhalb dieser Welt liegenden angestammten Bereich. Dort wohnend, ist das Fremde das Ferne, Unzugängliche, Unnahbare, und seine Fremdheit gewinnt die Bedeutung des Majestätischen. In seinem absoluten Sinn ist das Fremde daher das ganz und gar Transzendente oder das »Jenseits« selbst, somit aber ein herausragendes Attribut Gottes.

Fremd sein irgendwo, das erfährt man auf Solo-Reisen. Ist man dort wirklich fremd? Überall gibt es freundliche Menschen, die einander helfen. Manchmal empfinden wir uns allerdings fremd auf dieser Erde. »Wer hat uns in diese Körper gesteckt, warum muss ich sinken in den Welten?« fragten sich die Mandäer. »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus«, singt der Verliebte in der »Winterreise« von Schubert/Müller.

Wir sind hier im Exil, doch wir müssen nicht verzweifeln. Es gibt nicht nur diese Welt, das wäre klaustrophobisch, sondern auch die andere, »jene Welt«, und es kommt auch bei den Gnostikern ein Erlöser herab aus dem Lichtreich, und am Ende weiß man laut Jonas nicht, wer wen erlöst; vielleicht erlösen wir uns auch selbst. Auffallend, wieviele Menschen von ihrem Nahtod-Erlebnis sagten, dort drüben hätten sie sich wie Zuhause gefühlt; doch das ist uns erst gegönnt, wenn wir hier unsere Mission erfüllt haben.

 

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