Jakobs Traum

Jakobs Traum von der Himmelsleiter fiel mir ein: Genesis 28,11. So bedeutend kam mir das nicht vor, als ich es las. Klarer wurde es erst, als Frau Krüger, eine Vertraute im Pflegeheim, mir die Hintergründe auseinandersetzte. Auch da schon, im Alten Testament, sind Gottes Wege unerforschlich. Niemand ist zu gering, um erlöst zu werden.

Jakob legt sich hin und seinen Kopf auf einen Stein. Dann schläft er ein.

Während er schlief, sah er im Traum eine breite Treppe, die von der Erde bis zum Himmel reichte. Engel stiegen auf ihr zum Himmel hinauf, andere kamen zur Erde herunter.

Der Herr selbst stand ganz dicht bei Jakob und sagte zu ihm: »Ich bin der Herr, der Gott deiner Vorfahren Abraham und Isaak. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Sie werden so unzählbar sein wie der Staub auf der Erde und sich nach allen Seiten ausbreiten, nach West und Ost, nach Nord und Süd. Am Verhalten zu dir und deinen Nachkommen wird sich für alle Menschen Glück und Segen entscheiden. Ich werde dir beistehen. Ich beschütze dich, wo du auch hingehst, und bringe dich wieder in dieses Land zurück. Ich lasse dich nicht im Stich und tue alles, was ich dir versprochen habe.«

Jakob erwachte aus dem Schlaf und rief: »Wahrhaftig, der Herr ist an diesem Ort, und ich wusste es nicht!« Er war ganz erschrocken und sagte: »Man muss sich dieser Stätte in Ehrfurcht nähern. Hier ist wirklich das Haus Gottes, das Tor des Himmels!«

Früh am Morgen stand Jakob auf. Den Stein, den er hinter seinen Kopf gelegt hatte, stellte er als Steinmal auf und goss Öl darüber, um ihn zu weihen. Er nannte die Stätte Bet-El (Haus Gottes); vorher hieß der Ort Lus.

Nun blicken wir etwas zurück. Isaak war der Vater von Jakob und seinem Bruder Esau. Jakob blieb zu Hause, Esau streifte umher und brachte leckeres Wildbret mit. Eines Tages hatte er Hunger, und Jakob servierte ihm ein Gericht, das sein Bruder nur kriegen würde, wenn er ihm sein Erstgeburtsrecht abträte. Das tat Esau. (Schriftlich? Anders könnte er es ableugnen.) Nachdem Jakob auf erpresserische Art und Weise eine Stufe höhergekommen war, holte er sich auch noch, unterstützt von seiner Mutter, den Segen des alten Isaak. Jakob umgab sich mit der Haut eines Böckleins, um so behaart wie Esau zu wirken, gab sich als dieser aus und belog damit dreist seinen Vater. Isaak hörte zwar die Stimme Jakobs, kam aber ins Zweifeln und segnete ihn, und Esau war wiederum betrogen.

Brüdergeschichten. Kain erschlägt seinen Bruder Abel, den Hirten, weil dem Herrn dessen Opfer wohlgefällig war, seins aber nicht. Doch der Herr bestraft Kain nicht, er zeigt Nachsicht. Und auch Jakob wird nicht bestraft, sondern belohnt durch einen Traum, der ihm die fortwährende Hilfe des Herrn ankündigt. Seltsam. Dann steht er am Ufer eines Flusses, und ein Mann fällt ihn an und sie ringen bis zum Morgengrauen. Der Unbekannte will seinen Namen nicht nennen und sagt, Jakob habe mit Gott und den Menschen gekämpft und gewonnen; er solle nun Israel heißen.

Später versöhnen sich Jakob und Esau. Josef, einer der Söhne Jakobs, träumt auch viel, und seine Brüder verstoßen ihn. Er muss weg, nach Ägypten. (Auch dort träumt er.) Man könnte sagen, Josef büßt für die Taten seines Vaters. Sein Karma.

Underschlug Moses nicht einen Ägypter? Trotzdem durfte er hoch auf den Berg Sinai und im Angesicht des Herrn die Gesetzestafeln in Empfang nehmen und seinem Volk präsentieren?

Erhöhte Jesus nicht Petrus und machte ihn zum »Felsen« seiner Kirche, kurz nachdem dieser ihn drei Mal (aus Angst) verraten hatte? Und Paulus, ein weiterer Pfeiler der Frühchristen, der als einziger den Überblick besaß — war er nicht vorher ein unerbittlicher Christenverfolger gewesen, bevor ihn das Damaskus-Erlebnis ereilte? Da hat jemand ein Herz für die Schwachen und Gefallenen und gibt ihnen eine Aufgabe. Ja, der Herr erhöht, wen er will (man yashao heißt es im Koran; er belohnt oder bestraft, wen er will, Er ist eben nicht mit menschlichen Maßstäben zu messen).

In einer Weinberg-Geschichte in einem der Evangelien wirbt ein Weinbergbesitzer Arbeiter an, und dem, der nur eine Stunde gearbeitet hat, zahlt er ebensoviel wie dem, der den ganzen Tag schuftete. Das sei ungerecht, schimpfen die Arbeiter, doch der Chef sagt in etwa: ›Was ihr mit mir vereinbart habt, bekommt ihr. Der Rest ist meine Sache.‹

Wer versagt hat, wird sich um so mehr anstrengen, seine Fehltritte wiedergutzumachen. Schenke einem Menschen Vertrauen, sagte einmal ein Firmenchef, und er wird sich reinhängen und es dir zehn Mal zurückzahlen. Niemand ist verloren. Wir alle machen Fehler, wir alle tragen den Schatten in uns, doch der Herr ist barmherzig ohne Ende. Wären es die Menschen nur auch!

Das Bild oben ist von Karl Heinz Renner, Freiburg

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