Tiefes Wasser
James Bradley, den das Pyrozän interessiert hat, ist eigentlich Romanautor und außerdem speziell interessiert an den Ozeanen. Vergangenes Jahr brachte der 1967 geborene Australier Deep Water heraus (Tiefes Wasser), ein Sachbuch. Kilian Quigley stellte das Buch in der SRB (Sydney Review of Books) vor. Nach dem Feuer das Wasser, fehlen nur noch die Erde und der Wind. Die Erdbeben von Santorini!
Die größten Ökosysteme der Erde liegen 3000 Meter unter der Meeresoberfläche und umfassen 70 Prozent des ozeanischen Bodens: die »abgründigen Ebenen« (abyssal plains; ich weiß nicht, ob das der Fachausdruck ist). Dort unten begann vielleicht das Leben, und dort unten herrscht eine hohe Biodiversität sowie (noch) ein Überfluss an Leben. Nur 5 Prozent der Ozeane sind einigermaßen bekannt. Sylvia Earle meinte: »Wer neue Grenzen sucht, sollte denken: Ozean.« Die früher vermutete Leere wird durch Forschung zu einem Objekt, angefüllt mit Kreaturen, die vielleicht schon Millionen Jahre auf dem Meeresboden beheimatet sind. James Bradley möchte der Immensität und flüssigen Vielfalt des Meeres Form verleihen.
Der Ozean sei eine Art zu denken, meint Bradley. Ozeanisches Denken löse die Weltkarte, wie wir sie kennen, auf und führe »flüssige Koordinaten« ein. »Das menschliche Leben ist untrennbar mit der Tiefe verbunden«, schreibt er. Ohne die Meere kein Kolonialismus, kein Sklavenhandel, keine Ausbeutung. (Na ja, vor allem ohne Schiffe nicht. Der Mensch ist findig und neugierig, er durchquerte Länder und sogar die Lüfte. Nichts hält ihn auf.) Wir müssen viel lernen. Manche Fische haben nicht nur andere Wahrnehmungskanäle als wir; sie sind tatsächlich völlig anders.
James Bradley stellt in seinem Buch heraus:
Seltsamkeiten und Wunder wahrzunehmen, ist der Anfang eines neuen Verständnisses von unserem Platz in der Welt. Wir werden daran erinnert, dass wir Teil eines viel größeren Systems sind von unmöglich scheinender Großartigkeit und Komplexität.
Dies einzusehen wäre ein Öko-Kosmopolitismus unterhalb der Wasserlinie, wie es Ursula Heise formuliert hat. Doch Tiefes Wasser spricht auch vom Horror: von Hunderten Tonnen atomaren Abfalls, den Seeminen und den toxischen Nachlassenschaften der Industrie, die von den ozeanischen Kreaturen geschluckt wurden. Auch illegale Fischerei-Praktiken hebt der Autor ans Tageslicht. Die Ökosysteme der Ozeane würden ärmer, meint die Wissenschaftlerin Jessica Meeuwig, die Wasser leer und erschöpft. Bradley warnt: »Die Tiefe ist kein Ort des Vergessens.«
Und das Eis nimmt neue Zustände an. Wir bewegen uns auf einen Bruch zwischen Vergangenheit und Zukunft zu. Der Thwaite-Gletscher, fast so groß wie die Schweiz, schmilzt weitaus schneller als erwartet. In 50 Jahren könnte der Meeresspiegel dadurch um 65 Zentimeter steigen. Das wäre eine neue Sintflut. Und manche Strände sind schon heute von Plastik bedeckt; dieser »Biofilm« erhitzt das Wasser, das Ökosystem wird gekocht. Werden wir dereinst auch gekocht?
Wir sprächen viel über die Unsicherheiten in der Zukunft, meint James Bradley, doch vieles sei angesichts der Klimakatastrophe sicher, und gewisse Veränderungen seien nicht rückholbar.
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