Flugverkehr (172): Vogelzüge

Dženana Vucic schrieb für die Sydney Review of Books den Artikel Migratory Flights (Vogelzüge) und schildert einige Vogelarten, doch sie meint damit auch sich selbst, die in Bosnien aufwuchs und dann nach dem Krieg (1992-1995) nach Australien zog. Eine Weile lebte sie in Berlin, und nach einer gewissen Zeit werde sie immer unruhig (wie die Zugvögel) und wolle ihr Heimatland besuchen.

Ja, wie die Zugvögel. Sie haben ihn in sich, den Drang in den Süden. Manche starten jedes Jahr immer am selben Tag. Manche Schwalben im Schwarzwald verschwinden schon am 15. August, rätselhaft. Sie ziehen in ihre Winterquartiere. Sie haben es in den Knochen, in den Genen. Kurz bevor sie abfliegen, befällt sie die Zugunruhe. 

Von 10.000 Vogelarten sind 4.000 Zugvögel. Die wichtigsten: Graugans, Buchfink, Star, Kiebitz, Kranich, Lachmöwe, Ringeltaube, Singdrossel. Bei Wikipedia steht, jedes Jahr wären 50 Milliarden Zugvögel unterwegs. Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. 100 Millionen starten in Deutschland; ein Vogel-Experte sprach von 2,5 Milliarden, das könnte hingehen.

Es gibt laut Frau Vucic 8 hauptsächliche Flugrouten, die von 50 Millionen Vögeln genutzt werden, und 2 Millionen fliegen bis nach Australien. Sie schaffen meist 300 Kilometer am Tag. Manche fliegen über das östliche Asien hinweg, andere wählen eine Strecke weiter westlich: Indien und Bangladesch. Die Pfuhlschnepfe (bar-tailed godwit) fliegt in 8 Tagen nonstop 11.000 Kilometer von Alaska nach Australien. Der Vogel 4BBRW stellte dabei im Jahr 2021 einen Rekord auf: 13.035 Kilometer in 10 Tagen (ohne zu essen). Im Jahr darauf schaffte Vogel B6 in 11 Tagen 13.550 Kilometer, und er war erst 4 Monate alt.

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Dženana Vucic lebte eine Weile in Berlin (vielleicht heute noch), weil man dort einigermaßen günstig leben kann und gut nach Bosnien kommt. Die Reise nach Australien geht nur einmal im Jahr, denn sie kostet 3000 Euro. Über Berlin schrieb sie (das war im September 2023), Islamophobie krieche durch die Gespräche, auch bei den Linken, »besonders bei den Linken«, die Zollbeamten stöhnten über ihren Namen, und gewisse Kreise wollten ihnen, den »Kanaken«, einschärfen, dass Osteuropa nicht Europa sei und Moslems keine Europäer seien.

Vucics Onkel war vor 30 Jahren Gastarbeiter in einer Fabrik in Frankfurt; ihre Cousins fangen bei Amazon an, haben Jobs, doch ein Visum kriegen sie nicht. Arbeit gibt es am Münchner Flughafen: auch hier wenig Geld, kein Visum. Dafür braucht man keine Vorkenntnisse, nur »etwas Verzweiflung« (die Autorin). Eine Cousine arbeitet als Krankenschwester in Wiesbaden und meint: Besser wohlhabende Deutsche im Bett umdrehen als in Bosnien Würste auf dem Grill.

Die Weltarbeitsorganisation schätzt, dass 5 Prozent der Arbeitskräfte auf der Welt Migranten sind: 170 Millionen. Sie arbeiten in wohlhabenden Ländern und machen fast 20 Prozent von deren Gesamtbelegschaft aus. »Migrantische Arbeiter sind attraktiv, da ausbeutbar«, schreibt die Autorin. In vielen Ländern müssen sie wieder zurück, um im Jahr darauf erneut einreisen zu können. Es ist genau festgelegt, wo und wie lange sie bleiben können. Wohlhabende Bürger lassen sich im Gegenzug in billigen Ländern nieder. So läuft das Spiel.

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