Beerdigungsprozessionen

Amiri Baraka (1934-2014) widmet sich in seinem Buch Blues People, über das wir gesprochen haben, den Begräbnisprozessionen der Schwarzen in den USA und untersucht die dort gespielte Musik, die Elemente des Blues miteinbezog. Eine Beerdigung mit Trauerfeier im Süden der USA war stets ein Spektakel, da sie auf afrikanische Traditionen zurückging.

Baraka schreibt:

Ein berühmtes Beispiel dafür, wie Neger europäische Rhythmen in Verbindung mit ihren eigenen westafrikanischen benutzten, waren die Beerdigungsprozessionen. Der Gang zum Friedhof wurde in einem langsamen, klagevollen 4/4-Takt gespielt, gewöhnlich ein Spiritual, aus dem ein unfertiger, bluesähnlicher, napoleonischer Militärmarsch wurde. Hinter der Kapelle gingen die Trauernden – Verwandte, Mitglieder der Bruderschaft oder des Geheimbundes des Verstorbenen  und die »Well-Wishers«, Trauergäste, die den Hinterbliebenen tröstlichen Zuspruch geben. Die ganze Nacht vor der Beerdigung und in allen Nächten, die zwischen Todestag und Begräbnis lagen, kamen die Trauergäste in das Haus des Verstorbenen, um dort zu weinen, zu wehklagen und den Leichnam zu berühren. Diese »Totenwachen« oder »Kondolenzbesuche« entwickelten sich in der Regel zu Hausfesten.

Nach der Beerdigung, wenn man schon ein gutes Stück vom Friedhof entfernt war, spielte die Kapelle einen schnelleren Marsch, ungefähr 2/4 des Quadrillentempos. »Didn’t He Ramble« und »When the Saints Go Marching In« waren die beiden am häufigsten gespielten Melodien – beides umgeformte, religiöse Lieder. Sebst bei dieser Art der Marschmusik war der Einfluss des Blues sehr groß, wenigstens Uptown bei den »dunkleren« Blasorchestern. Die Downtown-Bands der Kreolen wollten nichts mit dem unausgefeilten und heiteren Spiel jener dunklen Leute zu tun haben. (…)

Viele selbstbewusste Kreolen haben das Theater, das die dunkleren Neger aufführten, wenn sie ein Mitglied ihrer Gemeinde beerdigten, mit Missfallen beobachtet. Die tagelangen lustigen Trauerfeiern mit Festessen und Tänzen lagen ganz gewiss außerhalb der Grenzen des religiösen Empfindens von Protestanten und Katholiken. Herskovits erwähnt, dass diese Beerdigungsbräuche aus Westafrika kommen und besonders bei den großen Dahomey-Stämmen gepflegt werden.

(aus: Amiri Baraka, Blues People, Orange Press 2003, S. 89/90; Bild oben rechts: Bei der Trauerfeier für Danny Barker; Mitte: Beerdigung eines 19-Jährigen, aufgenommen von Jack Delano (1914-1997) im Jahr 1941, wir danken der Library of Congress in Washington D. C.; unten eine alte afrikanische Prozession, dargestellt durch einen Künstler)

Der zuletzt erwähnte Herskovits heißt Melvin J. mit Vornamen und war ein US-amerikanischer Anthropologe, der viele Forschungreisen unternahm. Sein Vater war Kroate, der aus dem Burgenland in die USA ging, seine Mutter Deutsche. 1941 schrieb er das Buch The Myth of the Negro Past. Herskovits trat für kulturelle Vielfalt und Toleranz gegenüber dem Fremden ein. 1961 erhielt er den ersten amerikanischen Lehrstuhl für afrikanische Studien, doch leider starb Melville J. Herskovits keine zwei Jahre später, 67 Jahre alt, in Evanstown.

Bei dem Thema der Prozessionen im Süden der USA musste mir ein Filmausschnitt aus einem 007-Streifen, Live And Let Die mit Roger Moore als James Bond. Der Link ist hier. Das ist wunderbar. Traurig marschiert die Gemeinde ums Eck, und ein arroganter Mann mit Hut fragt seinen Nachbarn, für wen die Trauerfeier sei. »Für dich!« antwortet der Angesprochene und rammt ihm ein Messer ins Herz. Die Träger legen den Sarg auf den Leichnam, nehmen ihn auf, und sofort erklingt ein temperamentvoller Marsch, und die Gemeinde tanzt und jubelt.

Ω Ω Ω

Ach, gestern Vormittag ist unser Rockmusiker gestorben, Chris Axel Klöber, 77 Jahre alt. Er sah noch ziemlich jung aus! Ich wollte ihn am Nachmittag im Krankenhaus besuchen, da sagt die Lady am Empfang, da müsste ich »die Angehörigen kontaktieren«. Da wusste ich es. Diese Mitarbeiter wären richtig in Sizilien, da hat niemand je etwas gesehen, niemand sagt etwas, und das nennt man Omertà. Datenschutz! Auch wenn jemand nicht mehr da ist und bestimmt nicht zurückkommen wird. Hätte es sie etwas gekostet zu sagen: »Er ist tot«? Absurd ist das.

Ich hätte mehr mit ihm machen sollen. Hatte ihm versprochen, am Weinbrunnen was zu trinken; wollte Schach mit ihm spielen. Irgendwie hat es nie geklappt, vielleicht hatte ich ihn innerlich schon aufgegeben. »Verzeih mir, Axel!« möchte ich ihm in die Andere Welt hinüberrufen. Er lag immer im Bett und sah das Phoenix-Fernsehprogramm. Seit zwei Jahren. Er kam in die Klinik und war auch schwer krank, aber er hatte wohl auch keine Lust mehr. Axel hatte in den 1980-er Jahren in Berlin die Band Curly Curve und tourte auch  – als Pianist – einmal mit Mungo Jerry. Die letzten Jahrzehnte verbrachte er im schönen Staufen.

 

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