Heimat Knast

Wir alle suchen Orte, an denen wir uns wohl fühlen, wo wir respektiert werden, sei es die Familie oder eine Firma. John Paul Martinez von gestern, der eine üble Kindheit hatte, meinte, in der »Gang« eine Heimat zu finden, und später war es das Gefängnis, wie er selber sagte. Man muss nicht kochen, der Tagesablauf ist geregelt, und Freunde findet man auch. Den Knast als Heimat suchte auch eine Figur, die Ludwig Thoma porträtierte.

Es ist der Versuch, ein wenig Humor in die Sache manipogo zu bringen. Wir hörten ja, dass sogar die Engel einen Sinn für Humor besitzen; den haben wir doch auch. Die kleine Erzählung von Ludwig Thoma (1867-1921) heißt Unser guter, alter Herzog Karl.

Der Simon Lackner ist schon 69 Jahre alt und »ein herzensguter Kerl«. Er hatte Schreiner gelernt und ging durchs Land in der Hoffnung auf einen Auftrag, war also ein fahrender Handwerksbursche. In Neuburg regierte Herzog Karl III., und sein Konterfei hing in vielen Wirtshäusern. Er war ein gutmütiger Regent, und für die groben Gendarmen konnte er nichts. Von Simon Lackner wird gesagt:

Er liebte den Fürsten auf seine bescheidene Weise. 

Er lief durch die Dörfer, schlug sich durch, und im Frühjahr und Sommer mochte das noch hingehen …

Aber wenn die kalten Novemberwinde pfeifen …? Wenn die Landstraßen aus dem Leim gehen und pfundschwerer Brei an den Sohlen hängen bleibt? Wenn der kalte Regen mit tausend Nadeln sticht oder die Schneeflocken wirbeln?  

Der Simon Lackner hatte das oft erlebt, und als es Ende Oktober vor 16 Jahren anfing, kalt zu werden, hatte der Reisende eine Idee. Er versteckte sich vor der Strafanstalt in einem Gebüsch, und wenn ein Gendarm sich blicken ließ, trat er vor und rief mit lauter Stimme:

Unser guter, alter Herzog Karl is a Rindviech! 

In den ersten beiden Jahren wurde der Simon hart verhört; man meinte, einen Aufrührer gefasst zu haben. Doch schon im dritten Jahr begriffen die Gendarmen, dass sich der Beleidiger nur »auf diese harmlose Weise ein Winterquartier verschaffen wollte«. Sein Delikt hieß Majestätsbeleidigung. Der Inspektor ließ ihn vorführen und brummelte, bevor der Simon seinen Spruch wiederholen konnte: »Weiß schon, weiß schon! Sie kriegen schon ihre fünf Monat‘!« Wenn es Ende Oktober war, seufzte der Gefängnischef, jetzt werde bald der Simon Lackner auftauchen …

Jedoch, schreibt der Autor, wolle man den Paragraphen fürs neue Jahr neu fassen. Dann müsse sich der Simon Lackner etwas Neues ausdenken. Wer einfallsreich ist, dem fällt gewiss ein anderes Delikt ein. Beamtenbeleidigung vielleicht; er könnte rufen: »Ihr Gendarmen seid’s alle Rindviecher!«

 

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