Baramulla und der Orangenbaum
Wir schauen am Abend immer einen Film, wenn wir mal zusammen sind, was nur alle paar Wochen vorkommt. Über diese Filme kann ich dann schreiben, muss aber nicht. Doch, ich muss schreiben. Vier Filme an drei Tagen sahen wir soeben, und zwei waren ganz neu! Über deren Handlung darf man freilich nichts verraten. Womit fangen wir an?
Vielleicht mit dem schwächsten der vier. Er spielt 1884 und danach 1900 in Paris und heißt Gangs of Paris. Der Originaltitel ist Apaches, denn so nennt sich die bestimmende kriminelle Gang, die es an Brutalität nicht fehlen lässt. Ein hübsches junges Mädchen (Alice Isaaz) will den Tod ihres Bruders rächen und schleust sich in die Gang ein, begeht auch Morde, dabei wirkt sie jedoch zerbrechlich, irgendwie nimmt man ihr das nicht ab. Dann kommt der Showdown: den Anführer will sie haben! Der Regisseur Romain Quirot hat den Film 2023 gedreht, und man fragt sich: Warum wird so etwas gemacht? Ein gigantisch aufwendiger Film, aber zuviel Grausamkeit und kein Funken Hoffnung. Das zieht einen runter.
Leider ist Baramulla kaum besser. Dieser neue Horrorfilm mit Thriller-Elementen kam erst am 7. November auf Netflix zur Premiere. Ein Kommissar (Manav Kaul) kommt mit seiner ganzen Familie in die Stadt Baramulla, um dort zu leben, denn es verschwinden manchmal Kinder und tauchen nie mehr auf. Aditya Suhas Jambhale hat einen sehr düsteren Film gedreht, den wir auf Hindi mit engischen Untertiteln sehen. Da agitieren Moslems und beschimpfen den indischen Kommissar als Ungläubigen, Menschen verdampfen im Rauch, Häuser haben versteckte Räume, ein Phantom befiehlt seinen Untergebenen, immer neue Kinder zu entführen …
Vieles erschließt sich einem nicht, es sind zu viele Effekte und zu viel Spektakel, doch der Showdown (brachial wie im besten US-Western) entschädigt dafür. Dies alles hat historische Hintergründe. Jammu und Kashmir ist ein indisches »Unionsterritorium« gemeinsam mit Ladakh und angrenzend an Pakistan; im 135 Kilometer langen und 40 Kilometer breiten Kashmirtal mit der Hauptstadt Srinagar leben hauptsächlich Moslems, in Jammu Hinduisten, in Ladakh Buddhisten. 12 Millionen Menschen bevölkern gebirgige 100.000 Quadratkilometer. Der Film Baramulla spielt im Sommer 2016, als die Unruhen in Kashmir nach der Ermordung des beliebten Hindu-Kommandanten Burhan Wani ausbrachen. Fanatische Hindu- und Moslem-Gruppen standen sich gegenüber. Es gab 100 Tote, 20.000 Verletzte und 10.000 Festnahmen.
Ein neuer Film ist auch Im Schatten des Orangenbaums (All That’s Left of You). Er soll in 5 Tagen in die deutschen Kinos kommen. In Zürich war er schon seit 23. Oktober zu sehen. Cherien Dabis drehte diesen Film, der die Geschichte einer palästinensischen Familie von 1948 bis heute erzählt; dies tut die Mutter (verkörpert von der Regisseurin selbst) des jungen Noor, der bei einer Demonstration schwer verletzt wird. So beginnt der Weg der Familie, die ein Haus in Jaffa (das heutige Tel Aviv) besitzt, mit der Nakba, als 1948 700.000 Palästinenser vertrieben wurden, um dem jüdischen Staat Platz zu machen. Immer wieder hofft man auf Normalisierung, und das Ehepaar hofft vor allem, dass Noor wieder gesund wird …
Und dann noch Get Out, 2017 von Jordan Peele in Szene gesetzt und damals mit Preisen überhäuft. Er ist das Gegenstück zu den Filmen mit Knalleffekt. Eine alltägliche Geschichte wird erzählt: Eine junge Frau will den Eltern ihren schwarzen Freund Chris (Daniel Kaluuya) vorstellen, doch auf dem Landgut der Eltern wird es schnell mysteriös. Man meint, Zombies zu sehen, und es schleicht sich eine unterirdische Bedrohung ein. Das arrogante Elternpaar und ihre wohlhabenden weißen Freunde besitzen anscheinend ein Geheimnis, und die Schlinge um Chris zieht sich langsam zu. Er will bloß weg: Get Out!
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