Kryptozoologie

Krypto heißt verborgen, zoon das Tier, logos der Diskurs. Die Kryptozoologie beschäftigt sich mit verborgenen Tieren, die die traditionalle Zoologie nicht anerkennen will. Zu ihnen gehört das angebliche Monster vom Loch Ness, der Yeti, der Bigfoot und der Manipogo in Kanada. Die Beweislage ist dünn, dick hingegen sind jedoch die Bücher, die über jene sagenhaften Tiere geschrieben wurden.

Die International Society of Cryptozoology wurde 1982 in Washington D. C. gegründet und 1998 wegen finanzieller Probleme eingestellt. Durchschlagende Erfolge waren bis dahin nicht zu verzeichnen. Hinweise auf verborgen lebende Tiere geben nur Menschen, und deren Zeugnisse sind naturgemäß unsicher und widersprüchlich. Heute, da jeder Erwachsene fast ein Handy bei sich trägt, wären Fotos bei überraschenden Sichtungen leichter möglich; dennoch Fehlanzeige. (Links der Ogopogo, der im kanadischen Okanagan Lake leben soll, während der Manipogo im Lake Manitoba verortet wird.) 

Es gibt zwar Fotos, aber die sind undeutlich und interpretierbar. Eine Spezies, die in einer für sie ungewohnten Umgebung auftritt oder ein Tier, das als ausgestorben gilt und woanders sich weiterentwickelt hat, müssen als Anomalie bezeichnet werden. Eine Anomalie ist etwas, das

wirklich auftritt (beobachtet und bestätigt);
nicht durch eine anerkannte wissenschaftliche Theorie zu erklären ist;
nach allgemeiner Ansicht nach einer Erklärung verlangt und
allem widerspricht, was man von akzeptierten wissenschaftlichen Theorien erwarten könnte.

Anomalien hat es immer gegeben, und erst wenn die Beweise für sie stark genug waren, bequemte sich die Wissenschaft dazu, näher hinzuschauen; und manchmal wurde es umstürzend. Die Intensität der Strahlung eines schwarzen Körpers konnte Ende des 19. Jahrhunderts von der klassischen Physik nur im Bereich niedriger Frequenzen gut erklärt werden. Für die hohen Frequenzen gab es absurd hohe Zahlenwerte, was als »Ultraviolett-Katastrophe« bezeichnet wurde. Das war eine Anomalie.

Erst Max Planck löste das Problem mit seiner Quantenhypothese, und um 1930 war die klassische Physik plötzlich degradiert und galt als Grenzfall der Quantenphysik. Die alte Theorie war entzaubert. Thomas S. Kuhn (1922-1996) hat in seinem berühmten Buch The Structure of Scientific Revolutions dargestellt, wie eine Anomalie eine Disziplin kentern lässt.

Ein großer Anomalist war übrigens Charles Hoyt Fort (1874-1932). Er sammelte Berichte über seltsame Erscheinungen, etwa aus dem Himmel fallende Gegenstände, eigenartige Lichter, seltsame Töne. Natürlich sind alle paranormalen Phänomene Anomalien, denn sie passen nicht in das wissenschaftliche Weltbild.

Anomalisten sollten genau Zeugnisse auswerten, aber auch die Mythologie studieren. Unbekannte Tiere werden gern mystifiziert, um ihre verstörende Wirkung auf das »emotionale Gehirn« zu verlieren. Ihre Form und ihr Benehmen werden auf subtile Weise verzerrt; es wird umgeformt zu dem »mythischen Monster«, das dem Betrachter am besten passt und von dem auch einige Attribute entliehen werden. Beispiele sind die Krake, der Drachen, der Werwolf, das Einhorn, der Satyr, der Vampir und  die Seeschlange. Ein Forscher sagte: »Jedes dieser Konzepte ist auf besondere Weise mit dem einen oder anderen unserere psychologischen Probleme verknüpft.« Tiere aus Fleisch und Blut werden zu Bestien aus dem Fabelreich. (Rechts: Darstellung des Yeti)

Schließlich noch ein Satz: »Die Geschichte der Paläozoologie ist reich an Irrtümern.«

Und eine Statistik: Jährlich werden 5000 Spezies jedes Jahr neu entdeckt, davon 4000 Insekten. Mitte der 1970-er Jahre wurden neu entdeckt 112 Fischarten, 18 Reptilienarten, 10 Amphibien, 3 oder 4 Vogelarten. Aber wieviele sterben derzeit aus und werden nicht mehr gefunden? Damals, um 1990, hatten die Kryptozoologen »high hopes for the future«. Das mag heute, 35 Jahre später, anders sein.

Morgen: Loch Ness. Übermorgen: der Yeti.

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