Qantara.de

Ich habe mich ja schon früher, bevor ich mit dem Arabisch-Kurs begann, für den Orient interessiert. Kürzlich entdeckte ich die Internetseite Qantara.de. die nach dem Angriff auf die Twin Towers 2001 gegründet wurde. Sie soll den Dialog mit dem Nahen Osten fördern und bringt wertvolle Hintergrundinformationen. Das Projekt wird von deutschen Behörden getragen. Qantara heißt übrigens Brücke.

Man verliert den Überblick angesichts der vielen Krisen in der arabischen Welt. Über das Massaker an den Alewiten in Nordsyrien Anfang März sprechen vier Überlebende, die viele Familienangehörige verloren. Ein Mann, 45 Jahre alt, musste mitansehen, wie seine ganze Familie erschossen wurde. Er blieb übrig. Fast 1700 Menschen wurden brutal getötet; die neue syrische Regierung schickte anscheinend Dschihadisten in die Region um Latakia, die unbarmherzig vorgingen und ganze Dörfer auslöschten.

Im Sudan wurden die Rapid Support Forces (RSF) aus Khartum vertrieben und in den Westen abgedrängt, in die Gegend um Darfur. Die RSF-Rebellen hatten sich derart bestialisch aufgeführt und reihenweise Frauen vergewaltigt, so dass die Zivilbevölkerung Schutz bei den Militärs suchte, die dann bedenkenlos einen Markt bombardieren ließen, wobei Hunderte Menschen starben.

Dabei wird vergessen, dass Millionen Menschen ihren Alltag leben und auf Besserung hoffen. Eigentlich hatte ich über arabische Autorinnen schreiben wollen und tue es jetzt. Viele sind nach Deutschland, England oder Kanada geflüchtet und führen von dort aus mit Romanen ihren Kampf weiter. Einige Bücher gibt es auch auf Deutsch. Hervorzuheben wären Leila Aboulela, Fatin Abbas, Stella Gaitano und Reem Gaafar. Ich habe mir ein Buch von Stella Gaitano geholt, die über Menschen im Südsudan schreibt und berichtet, dass die weißen Nordsudanesen, die Muslime sind, die Schwarzen im Süden verachten und sie als billige Arbeitskräfte nutzen. (Derartige Literatur sei ein Zuschussgeschäft, liest man. Das Gaitano-Buch ist schön kartoniert, aber erschreckend dünn; ich hab’s noch nicht geöffnet, aber das lese ich in einer Stunde. Es kostete 20 Euro. Das stoppt meine Motivation, solche Bücher zu erwerben.)

Claudia Mende hat ein Buch veröffentlicht, das auf Deutsch heißt Wir sind anders, als ihr denkt. Es geht um den arabischen Feminismus, der seine Geburtsstunde vor 100 Jahren hatte. Die Autorin gibt sich selbstbewusst und will die Frauen der arabischen Welt nicht als Opfer betrachtet wissen. (Vielleicht hat manipogo zuweilen auch solche Untertöne verwendet, wir wollen uns bessern!) In Ägypten, Jordanien und Dubai betrage die Scheidungsrate mittlerweile 40 Prozent; das patriarchische System zerbrösele langsam. – Hoffen wir, dass das nicht nur Wunschdenken ist.

Der Qantara entnahm ich auch, dass der Gelehrte Mohammed Akram Nadwi in England in 43 Bänden die Biografien von 10.000 Frauen aufgezeichnet hat, die in den vergangenen 15 Jahrhunderten im Orient von sich reden machten. Das Werk heißt al-Muhaddithat.

Qantara.de hatte Ende Januar ein Gespräch mit der tunesischen Rockmusikerin Emel Mathlouthi. Für ihr neues Album stellte ihr die Plattenfirma einen Produzenten an die Seite, dessen Arbeit ihr nicht gefiel. Also machte sie sich auf die Suche und trommelte 30 Frauen aus 20 verschiedenen Ländern zusammen, die sich gemeinsam an die Arbeit machten. So entstand MRA. Emel Mathlouthi sagte:

In meiner Naivität dachte ich, die Welt müsste sich über ein zu hundert Prozent von Frauen gemachtes Album freuen. Doch wir wurden nirgends gefeiert, was ein Schlaglicht auf ein größeres Problem wirft: Die Welt will offenbar keine lauten Frauen.

Was man noch lesen sollte: Braut für einen Sommer. Gehört zu den 5 meistgelesenen Beiträgen auf Qantara. Reiche Golf-Araber holen sich eine Frau für den Urlaub, für einen Monat; solch eine Kurz-Ehe ist im Islam erlaubt, und so ist der Geschlechtsverkehr legal. Nach dem Sommer lässt man sich wieder scheiden. Howeida war 8 Mal verheiratet. Hat ihrer Familie viel Geld gebracht, ihr jedoch Schande. Niemand wird sie mehr heiraten, wird geklagt. (Scheiß drauf!)

Das ist immer mal Thema. Da fällt mir ein Kurzfilm aus Beirut ein: Junger Mann geht mit einer jungen Frau aus, die das Feiern liebt. Die Schwester ist religiös. Mann kommt mit Vater und Mutter und lässt um die Hand der Tochter anhalten … allerdings der religiösen. Diese ist gar nicht entzückt. Als sie der Vater schließlich fragt, ob sie einwilligt, sagt sie kurz: »Nein, ich möchte einen jungfräulichen Mann!« Gut gekontert.

 

Bild oben: aus dem Film Timbuktu (2014), rechts unten Bamako (2006). Beide Filme sind von Abderrahmane Sissako.
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