Heimrad Bäcker

Im Literaturmuseum schon war mir der Name Heimrad Bäcker aufgefallen, weil er sich intensiv mit Mauthausen (das ich erst am Tag danach besuchen wollte) und den Todeslagern der Nationalsozialisten künstlerisch beschäftigte. Als ich die wenigen Zeilen bei Wikipedia über ihn las, dachte ich mir: Er muss ein Damaskus-Erlebnis gehabt haben, nach dem Krieg in Mauthausen. 

Das Damaskus-Erlebnis spielt natürlich auf Saulus an, der vor Damaskus zu Paulus wurde, näher geschildert in dem Beitrag Erkenntnis. (Die katholische Kirche begeht übrigens übermorgen die Bekehrung des hl. Apostels Paulus. Richtig wäre: die Bekehrung zum Apostel Paulus — oder die Bekehrung des Saulus.)

Zitieren wir mal Wikipedia, das darf auch einmal sein. Sieben Zeilen ist ihr Heimrad Bäcker wert, und das sind die ersten zwei:

Heimrad Bäcker beantragte am 16. Januar 1943 die Aufnahme in die NSDAP und wurde zum 20. April desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 9.519.625). Er musste nach Ende des Weltkriegs Arbeiten im KZ Mauthausen ausführen, was sein späteres künstlerisches Werk umfassend prägte.

Im Januar 1943 war Bäcker noch nicht einmal 18 Jahre alt und der Parteibeitritt wohl eine Jugendverfehlung. — Die Zeilen legen jedenfalls den Schluss nahe, dass der immer noch junge Mann in Mauthausen begriff, was das für eine menschenverachtende widerwärtige Ideologie war. So wurde er von Saulus zu Paulus und widmete sein Leben der Aufgabe, die Wahrheit darzustellen. Im Literaturmuseum ist ein Satz von ihm ausgestellt:

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Ein weiterer Satz befindet sich im Museum moderne Kunst Wien:

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Heimrad Bäcker wurde am 9. Mai 1925 in Wien geboren und starb am Tag vor seinem 78. Geburtstag (2003) in Linz. 2015 wurde sein Werk dem Museum moderne Kunst Wien geschenkt. Zitieren wir nun die Seite der KZ-Gedenkstätte Mauthausen:

Ein Konvolut, das mit über 14.000 Einzelobjekten wie Fotografien, Negativen, Notizen, Plänen, Textarbeiten und Fundstücken Zeugnis einer lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Holocaust ablegt. Angetrieben von dem Bedürfnis, die Geschichte zu ergründen, las er tausende Seiten von Erzählungen, Aufzeichnungen, Statistiken, Prozessakten und Berichten Überlebender. Er entwickelte ein künstlerisches Verfahren, das unveränderte Originalzitate aus NS-Schriftstücken mit den Mitteln der konkreten Poesie dokumentierte.

Seit den 1960er-Jahren dokumentierte Bäcker auch das Gelände der Konzentrationslager Mauthausen und Gusen. Er fertigte Fotoserien an, lange bevor es eine öffentliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit gab. Die Arbeiten zeigen brachliegende Anlagen, die von Pflanzen überwuchert oder aber ganz bewusst von Gemeinde und Staat einer anderen Verwendung zugeführt wurden. Heimrad Bäcker sammelte und bewahrte Fragmente der Anlagen und der Gegenstände, die er auf dem Gelände fand. Als konkrete Objekte sind diese Fundstücke materielle Spuren und stumme Zeugen der Geschehnisse in den Konzentrationslagern.

Vergangenen November führte das Theater Nestroy in Wien eine »performative Sprachoper« zu Bäckers Werk auf und erläuterte:

Heimrad Bäckers »nachschrift« ist eine der radikalsten Auseinandersetzungen mit dem Holocaust in der Literatur. Das Werk stellt eine einzigartige sprachlich-literarische Verarbeitung der bürokratischen Verwaltung und Organisation der Vernichtung dar. In den anonymen Texturen, die von Bäcker in verdichtete Sprachmuster, Listen, Aufzählungen und Berichtsfragmente montiert werden, vermittelt sich der unbegreifliche Schrecken der Massenvernichtung. Gerade Bäckers bewusster Verzicht auf Erzählung und Figur macht die unheimliche Stärke seines Hauptwerks aus, das mit sprachlichen Mitteln die Unbegreiflichkeit und den Abgrund der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie zu vermitteln versucht.

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