Die Macht der Tradition

Mein Titel ist der eines Artikels von Ellen Rudnitzki über die Frauen in der Türkei. Deprimierend. Im Orient, in Südostasien, in Lateinamerika und sogar noch in Südeuropa haben Frauen wenig zu sagen, sind ins Haus verbannt, werden verheiratet, müssen Kinder kriegen und kochen, und zum Dank werden sie noch verprügelt, wenn der Herr des Hauses schlechter Laune ist. Nicht so sehr in den Städten, aber auf dem Land. Der Zwang, zu Hause zu bleiben wegen Corona ließ viel männliche Gewalt frei.

Kürzlich rebellierten die Frauen im Iran — nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die ihren Schleier nicht korrekt trug, ins Gefängis kam und dort am 16. September starb, vielleicht nach der Folter. Auch Stars in den USA und Europa reagierten und schnitten sich die Haare ab. Im Iran treten sogar Männer für die Frauen ein! Man muss betonen, dass die persische Kultur uralt ist und reich an Mythologie; mit dem Orient hat Persien eigentlich nichts zu tun, es wurde eben überfallen. Hoffen wir, dass sich im Iran etwas ändert. Erklärt wird uns die Lage von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte.

assiaZu dem Thema könnte noch Assia Djebar zu Wort kommen. Ihr Buch von 1980 heißt Die Frauen von Algier. Die Algerierin hat in ihrem Leben, das von 1936 bis 2015 dauerte, ein Dutzend Romane geschrieben und immer wieder der arabischen Frau eine Stimme geben wollen, damit der arabische Mann einmal zuhören müsse.

lailaEine weitere prominente Autorin ist Laila Baalbaki, nur zwei Jahre jünger. Ihre Bücher wurden in ihrem Land Libanon erst verboten, dann gelesen. (Einen englischen Auszug aus einem neueren Buch über den Morgen nach einer Liebesnacht gibt es hier.) Und sie und Frau Djebar erlebten Unruhen und eine gewisse Öffnung in nordafrikanischen und arabischen Staaten 2011 mit, doch ich weiß nicht, ob dies die Macht der Tradition schmälern konnte.

Assia Djebar hat immer genau hingehört, wie arabische Frauen sprechen im Halbdunkel ihrer Wohnungen.

Der Zwang, über Körper und Geräusche einen Schleier zu breiten, lässt sogar fiktive Personen unter Sauerstoffmangel leiden. Kaum nähern sie sich dem Licht ihrer Wahrheit, da werden ihnen auch schon wieder Fußschellen angelegt, durch die sexuellen Verbote der Realität.

Es gab wie in Afghanistan immer mal wieder Erleichterungen und Hoffnung, bis die nächste Militärregierung wieder neue Verbote auferlegte — und ganz schlimm war das jüngst in Afghanistan. Assia Djebar schrieb 1980 über die »neuen Frauen von Algier, die sich seit den letzten Jahren frei bewegen«, doch dann kam der blutrünstige Bürgerkrieg in den 1990-er Jahren, kam eine religiöse Rückwendung, und die Frauen wurden gleich wieder zurückgescheucht in die Häuser.

1244-03_025In Die Frauen von Algier erzählt die Autorin vom Tod der Großmutter Hadda. Sie liegt aufgebahrt unter einem Leichentuch, und unter die Gäste mischt sich Aischa, die lange bei ihr gelebt hat. Ihr Schicksal ist das vieler Frauen. Nach einer unbedeutenden Liebesgeschichte mit 18 Jahren war nichts mehr. Dann fand sich ein Bewerber, den sie früher abgewiesen hätte.

Achtundzwanzig Jahre alt und noch unverheiratet! Sie hatte seinen Antrag angenommen, obwohl sie schon vor der Hochzeit gewusst hatte, dass er sie verstoßen würde. Das war unabwendbar. In jeder Familie gab es eine Verstoßene. (…) Bittere Hochzeit. Der schon abgezehrte Körper der Jungfrau, die einmal verliebt gewesen war … Der Ehemann bestand auf seinen Rechten. Vergewaltigte den ausgelieferten Körper immer wütender. 

»Achtundzwanzig Jahre alt und noch unverheiratet!« schrie der aufgebrachte Ehemann mit hasserfüllten Augen, die aber in Wirklichkeit seine Ohnmacht widerspiegelten.
Die Hochzeit lag kaum acht Tage zurück. Er verhöhnte sie, spuckte sie an. (…)
Seit diesem Tag verweigerte sie sich ihm beharrlich, und von da an legte er sich keinen Zwang mehr auf: Er ließ sich Bierflaschen ins eigene Haus bringen, Bier, das nach Verdammnis stank. Das von den Partisanen proklamierte Verbot der Trunkenheit versetzte ihn, den Frechling mit dem Lockenkopf, in genauso ohnmächtige Wut wie Aischas verschlossener Körper. —
Zwei Monate später verstieß er sie. Danach wohnte sie bei ihrer Schwiegermutter …

Dann schließlich Haddas Einladung. Sie hatte eine Botin geschickt: »Eine zerrüttete Ehe ist nicht schlimmer als die Einsamkeit fern des eigenen Blutes.«

Verwandtschaft hin oder her, es hilft nur die Solidarität der Frauen untereinander. Man braucht dazu eine Aktivistin wie Irem Kayikçi, die in der Türkei für eine Frauenorganisation arbeitet und versucht, andere Frauen über die Social Media zu erreichen, wie Ellen Rudnitzki berichtet.

 

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