Zur Todesstunde
Da gestern das Buch At the Hour of Death von Haraldsson und Otis (von mir) erwähnt worden war, kann ich gleich etwas darüber schreiben; in meinem Archiv befindet sich ein Exzerpt des Buches. Wieviel habe ich doch gelesen und geschrieben! Und nur ein Bruchteil wurde veröffentlicht, und irgendwann hatte ich die Nase voll und dachte mir: Schreib doch einen Blog, dann hast du wenigstens ein paar Leser!
Nach einer Pilotstudie 1959/60 wurden bis ins Jahr 1973 in den USA und in Indien 35.000 sterbende Patienten berücksichtigt. Das ist eine gigantische Zahl. Ein Projekt über Beobachtungen am Sterbebett von Krankenschwestern und Ärzten hatte 1968 sogar 50.000 Fälle zu bieten, doch dann blieb das Geld aus und das Projekt auf der Strecke.
Es gab also bis 1977, als das Buch erschien, über 35.000 Beobachtungen am Sterbebett, und in 1318 Fällen gab es Erscheinungen (also geisterhafte Wesen), 884 Visionen (Landschaften, andere Welten) und in 753 Fällen eine Stimmungs-Aufhellung. Wenn man alle zusammenaddiert, kommt man auf knapp 10 Prozent. Das ist nicht viel, aber auch nicht verschwindend gering. Die Londoner Forscher der SPR bekamen bei ihrem großen Halluzinations-Zensus 1886 (der eigentlich übernatürliche Beobachtungen meinte) auch 10 Prozent positive Antworten.
Einige Beispiele aus dem Buch von Erlendur Haraldsson und Karlis Osis:
Ein sterbendes 16 Jahre altes amerikanisches Mädchen war gerade aus dem Koma erwacht. Sein Bewusstsein war sehr klar, als sie zu einem Betreuer sagte: »Ich kann nicht aufstehen«, und sie öffnete ihre Augen. Er, weiter: »Ich hob sie etwas an, und sie sagte ›Ich sehe ihn, ich sehe ihn. Ich komme.‹ Sie starb bald darauf mit einem strahlenden Gesicht, begeistert, ekstatisch.
Mann, 50 Jahre alt, Herzkrankheit, sah einen alten Freund: »Warum (er nannte den Namen) … Was tust du hier?« Es waren seine letzten Worte bevor er starb.
Ein 4-jähriges Mädchen im Ervin-Krankenhaus sagte: »Gott ruft mich, und ich werde sterben.« Sie schien völig normal und gesund zu sein. Doch sie starb an einem Kreislaufkollaps.
Kürzlich sprach ich mit einer Bewohnerin, deren Mann erst 3 Tage zuvor gestorben war. Sie sagte mir über ihren Mann, den Hansi:
Zwei Tage vor seinem Tod hat der Hansi zur Tür geschaut und gesagt: »Da ist die Gabi!«
Die Gabi, das war die Tochter seiner Frau, die 17 Jahre zuvor mit 51 an einem Aneurysma gestorben war. Er hat sie gesehen; sie hat ihn dann wohl abgeholt.
Die Autoren sind höchst exakt, was den Naturwissenschaftler begeistern müsste, würde dieser nicht das Thema überhaupt ablehnen.
17 Prozent der Visionen dauerten von 6 bis 15 Minuten, 17 Prozent länger als eine Stunde, und 50 Prozent dauerten weniger als 5 Minuten. 80 Prozent der Zeugen sahen Verstorbene (seltener Lebende, religiöse oder mythologische Figuren). Die Hälfte der Besucher kam anscheinend, um die Sterbenden abzuholen. Medizinische Faktoren würden dies nicht leisten können, meinen die Autoren. Einmal sagte ein Arzt so treffend (ich fand seine Formulierung sehr gut, ich habe oft an sie gedacht):
Die Erscheinung hat den Job gut hingekriegt (really did the job) und das Eintreten des Todes beschleunigt (… and hastened death).
Noch eine interessante Bemerkung:
Wie in dem Fall der Visionen am Sterbebett geschahen die meisten Stimmungs-Aufhellungen kurz vor dem Tod. 41 Prozent dieser Patienten starben zehn Minuten danach, und die anderen starben bis zu einer Stunde nach ihrer unerklärlichen Bekundung von Heiterkeit und Frieden. Was Michael Nahm in seinem Buch über die terminale Geistesklarheit schrieb, steht schon bei Osis/Haraldsson: Zwei Psychotiker, die außerhalb der Realität standen, zeigten kurz vor ihrem Tod wieder ihr früheres Selbst, und Elisabeth Kübler-Ross beobachtete das bei Schizophrenen. Vielleicht ist dies auch bei dementen Personen zuweilen so.
Die Autoren halten fest:
Unsere hauptsächliche Hypothese ist, dass die Sterbenden sich durch außersinnliche Wahrnehmung der Existenz nach dem Tod bewusst werden.
Und kurz erwähnen sie noch die Come-Back Cases, die Bilder des Himmels, von Landschaften und Flüssen zeigen, also die Andeutung einer anderen Welt … Damit werden die Nahtod-Erfahrungen gemeint sein, zu denen Raymond Moody 1975 das bahnbrechende Buch Lift After Life veröffentlicht hatte (nach Elisabeth Kübler-Ross), das aber 1977 noch nicht sehr bekannt war. Steht alles schon drin bei Osis/Haraldsson.
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